-22-

975 66 9
                                    

Die letzten Strahlen der Sonne weckten mich.
Ich öffnete blinzelnd meine Augen gegen das orange Licht und setzte mich aufs Bett. Sofort fiel mein Blick auf Felix. Er saß ebenfalls im Licht auf seinem Bett und hatte die Beine an der Körper gezogen.
Anders als heute Mittag trug er ein weißes T-Shirt und sofort fielen mir die Narben an seinen Armen auf. Sie schimmerten hell im Sonnenlicht.
Es waren definitiv nicht so viele wie meine Arme zierten, viel mehr stachen sie aufgrund der dünnen Arme hervor. Die Knochen zeichneten sich genauso deutlich ab.
Felix schien nicht bemerkt zu haben, dass ich wach war, denn er sah bloß weiter gedankenverloren aus dem Fenster.
Ich stand vom Bett auf und musterte ihn. So wie er aussah schien er unter anderem eine Essstörung zu haben, anders konnte ich mir seine dürre Gestalt nicht erklären.
,,Gibts nicht gleich Essen?", fragte ich und gähnte. Felix schenkte mir einen kurzen Blick und er nickte.
,,Ja", antwortete er knapp und stand ebenfalls auf. Er ging an mir vorbei zum Schrank und kramte einen roten Hoodie hervor. Sogar seine Wirbelsäule stach deutlich durch das T-Shirt hevor.
Ich sah weg. Dann ging ich zur Zimmertür und öffnete diese. Nach mir verließ Felix das Zimmer und wir gingen gemeinsam zum Speiseraum.
,,Na endlich", Julien begrüßte uns an unserem Tisch. Felix setzte sich mit seinem Teller Suppe einfach dazu.
,,Hast du bis gerade gepennt?", Rezo musterte mich.
Ich nickte nur und probierte einen Löffel der Suppe. Sie war ziemlich heiß, aber schmeckte nicht allzu schlecht. Auch Julien und Rezo begannen zu essen.
,,Felix, du musst auch was essen", sagte Rezo bestimmt, aber dieser schüttelte nur den Kopf.
,,Später", war seine Antwort.
,,Willst du gleich wieder zurück auf 2?", Rezo zog eine Augenbraue hoch.
Felix antwortete nicht, sondern starrte die Suppe vor sich an, als müsste er ein sich windenes Insekt essen.
,,Bist ja fast wie Mexi", Julien sah mich entschuldigend an.
Ich lächelte kurz in seine Richtung. Mitlerweile waren mir solche Witze bei Rezo und ihm egal.
Felix tat mir Leid. Er erinnerte mich sehr an mich selbst, wenn ich in meinen depressiven Gedanken gefangen war. Es schien ihm gerade deutlich schlechter als heute Mittag zu gehen.
,,Ich geh aufs Zimmer", verabschiedete er sich schließlich und ging einfach.
Rezo sah ihm enttäuscht nach.
,,Kannst du nicht ändern, Rezo", Julien klopfte ihm auf die Schulter.
Dieser seufzte und murmelte ein "Vermutlich".
Ich schaffte tatsächlich fast die ganze Suppe. Und zum ersten mal seit meiner Ankunft ließen meine Kopfschmerzen ein wenig nach.
,,Wow, Mexify, was denn bei dir los?", Rezo hatte seine bekannte fröhliche Stimme wiedergefunden.
,,Irgendwann muss er ja mal was essen", antwortete Julien ihm. Ich zuckte nur mit den Schulter. Konnte ja sein.
,,Find ich super", Rezo grinste und ich schob ihm den fast leeren Teller entgegen.
,,Da du Vielfraß, friss dich satt", kommentierte ich es.
Rezo lachte kurz auf. Und zum ersten mal ertappte ich mich dabei auch beihnahe mitlachen zu können. Zum ersten mal seit meinem Versuch.
Es war merkwürdig. Sobald ich jemanden wie Felix sah, dem es schlechter ging, schienen meine Probleme sich hinten anzustellen.
Rezo und Julien holten sich einen zweiten Teller Suppe und teilten meinen Rest unter sich auf.
Ich sah aus dem Fenster. Langsam wurde es richtig dunkel.
,,Morgen ist Sporttherapie für die ganze Station", berichtete Rezo und trank einen Schluck Wasser.
,,Oh echt?", Juliens Augen strahlten richtig.
,,Ja, hab ich vorhin von Mark noch aufgeschnappt", Rezo schien ebenfalls noch mehr aufzublühen.
,,Was machen wir da?", fragte ich mit mäßigem Interesse.
Sport hatte mir bis vor ein paar Jahren zwar immer Spaß gemacht, aber gerade die letzten Monate hatte ich mich nicht mehr wohlgefühlt. Im T-Shirt hatte ich es mich gar nicht mehr getraut und im Hoodie war ich fast erstickt, so warm war es darunter geworden.
,,Wir spielen Fußball oder Spiele. Es ist wirklich was ganz anderes als den ganzen Tag auf Station zu hocken", erklärte Julien sofort und Rezo nickte.
,,Hm", brummte ich. Klang ja super.
,,Wirst schon sehen", versuchte Julien es weiter, aber seine Begeisterung drang nicht zu mir durch. Julien tauschte seinen Teller mit dem von Felix.
,,Wie kannst du so viel essen?", fragte ich ihn, als er begann auch Felix Suppe zu löffeln.
,,Ist eines der besten Essen hier", antwortete er mit vollem Mund.
,,Könnte ich nicht", sagte ich und sah ihm dabei zu.
,,Wirst du irgendwann", versicherte mir Rezo, ,,Und es täte dir nicht schlecht. Genau wie Felix."
,,Hat er eine Essstörung?", fragte ich überflüssigerweise. Als wäre das nicht schon klar genug.
,,Ja, eine Magersucht", gab Julien bereitwillig Auskunft, ,,Ist kein Geheimnis, von daher hat Felix nichts dagegen, das du es weißt, denk ich."
,,Auf 2 haben die ihn wohl ganz gut hinbekommen", Rezo senkte etwas die Stimme, ,,Aber ich glaube hier wird es wieder schlimmer. Generell glaube ich kaum das er lange auf 3 bleiben wird ohne Rewi."
Ich sah ihn fragend an.
,,Die beiden haben sich immer aufgebaut, egal was kam. Sie sind seit ihrem ersten Tag auf Station 4 beste Freunde und allein zu sein tut beiden nicht gut, wie man gesehen hat", flüsterte er fast.
Ich dachte an die Erzählung, dass Rewi nur auf die Geschlossene gekommen war, weil Felix sich versucht hatte das Leben zu nehmen und es ihn sosehr fertig gemacht hatte, dass er sich selbst auch dorthin gebracht hatte.
Ich erschauderte.
,,Ihr seid auch beste Freude", stellte ich fest und schwieg dann. Ich wollte nicht weiter aussprechen was ich dachte.
Was wenn Rezo es versucht und Julien wie Rewi reagiert? Dann bin ich hier auch alleine. Was ist dann mit mir?
,,Du gehörst auch dazu jetzt", Julien sah mich ernst an.
Und auch Rezo sah mir fest in die Augen:,,Ja. Wir haben jetzt uns drei."
Aber keiner der beiden ging auf meinen Gedanken ein.
Und dennoch nickte ich dankbar. Ich gehörte dazu. Und auch wenn es nicht lange sein würde, es wäre für den Rest meines Lebens.
Klingt das traurig Mexify...
Aber es war nunmal die Wahrheit. Ich war nicht hier, damit es mir besser ging. Ich war hier um aus meinem Fehler zu lernen. So hart der Gedanke in meinem Kopf auch klang.

Psychiatrie - MexifyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt