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Ich nahm einen Löffel von dem Jogurt und ließ ihn dann wieder sinken. Mein Kopf schmerzte immernoch, aber irgendwie gewöhnte ich mich fast daran. Die Nacht war genauso schlimm gewesen wie die letzte. Zwischen weinen und negativen Gedanken hatte ich irgendwie zwei Stunden Schlaf gefunden, bevor mich Herr Pfeifer geweckt hatte.
Irgendwie war ich zum Frühstück gegangen, auch wenn ich am liebsten das Brot von gestern Abend auskotzen wollte. Und irgendwie zwang ich mich gerade dazu einen Jogurt zu essen, in der stummen Hoffnung damit die Kopfschmerzen loszuwerden.
Ich schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. Meine Augen brannten. Ob vom wenigen Schlaf oder den Tränen konnte ich nicht sagen. Heute Nachmittag hatte ich Therapie und als könnte der Tag nicht noch schlimmer werden, folgte darauf Gruppentherapie.
Ich wischte mir über die Augen und straffte mich. Dieser Tag würde noch schlimmer werden als die letzten. Aber immerhin hatte ich die Nacht sinnvoll genutzt. Irgendwo zwischen sinnlosen Tränen und einem gebrochenen Herzen hatte sich ein Plan gebildet. Ein ganz feiner, zerbrechlicher und vermutlich dummer Plan. Aber gerade hatte ich nicht viel an das ich mich klammern konnte.
Ich schob den Jogurt von mir und stand auf. Es wunderte mich kaum, wie schwer es mir viel. Mein Körper schien jetzt schon zu sterben. Lamgsam und qualvoll, als hätte man mir mein Herz zerquetscht. Als würde ich nur die letzten verzweifelten Schläge ertragen.
Es wunderte mich nicht, dass Julien, Rewi und Felix nicht zum Essen gekommen waren. Vermutlich hatten sie es auch begriffen: Ein Leben mit mir war sinnlos. Ich war sinnlos.
Etwas benommen ging ich den Flur zum Pflegerzimmer entlang und klopfte an die Tür. Eine Pflegerin mit braunen Locken öffnete mir und sah mich neugierig an:,,Ja bitte?"
,,Ich, ähm, wollte meine Medikamente nehmen", stammelte ich und zeigte schnell auf den kleinen Becher mit meinem Namen.
,,Klar, Maximilian, richtig?", fragte sie und griff danach. Dann drückte sie ihn mir in die Hand und gab mir meine Wasserflasche.
Ich warf einen Blick auf die Tabletten im Becher und erschauderte. Es war wirklich bescheuert zu glauben, dass solche kleinen Kapseln einem das Leben erleichtern sollten. Da waren sie besser für das Sterben geeignet.
Ich sah zu der Pflegerin, aber sie ließ mich nicht aus den Augen. Kurz überlegte ich noch, aber vermutlich hatte ich heute kein Glück. Ohne die Anderen war es schwerer sie unbeobachtet verschwinden zu lassen.
Ich kippte mir die Tabletten in den Mund und nahm einen Schluck Wasser mit dem ich sie hinunterspülte und angewidert das Gesicht verzog. Dann gab ich der Pflegerin Becher und Flasche zurück und zeigte zur Stationstür:,,Ich wollte auch noch raus."
Sie warf einen Blick aus dem Fenster hinter sich und studierte dann einen Plan an der Wand. Ich folgte ihrem Blick, aber die Schrift darauf war nur schwer zu lesen.
,,Gut, kannst du", sie nickte und notierte sich etwas, ,,Nur du?" Sie warf mir einen kritischen Blick zu, aber ich nickte nur schnell. Nur ich. Klang irgendwie traurig.
Das letzte mal, dass ich allein draußen gewesen war, musste kurz nach meiner Ankunft gewesen sein. Zumindest wenn man mein Treffen mit Luca nicht beachtete. Damals hatte ich Rezo ebenfalls belogen. Vermutlich war es schon damals absehbar gewesen, dass ich ihn wieder belügen würde. Aber es hatte es ignoriert und jetzt dafür bezahlt.
Mir kann man nun mal nicht trauen.
Ich bedankte mich bei der Pflegerin und ging zur Stationstür, die sich mit einem Klicken öffnete. Ohne zu zögern ging ich zur Treppe und folgte dieser hinunter bis zur Tür zum Innenhof. Ich warf einen Blick durch ihr Glas nach draußen. Hellgraue Wolken jagten über den Himmel, aber immerhin regnete es nicht wieder.
Ich öffnete die Tür und sog sofort die frische Morgenluft auf, die mir entgegen zog. Eine gewisse Kühle lag darin und erinnerte mich wieder daran, dass ein Winter bevorstand. Aber immernoch hatte ich jetzt einen Plan um ihm zu entgehen. Vielleicht für immer.
Mein Blick wanderte zum Pavillion und fast sofort sank mein Mut. Er war leer. Kein Taddl, kein Ardy, keine Luna. Nichtmal Luca war da. Während ich dennoch darauf zuging, wanderte mein Blick zur Stationstür von Station 4. Aber auch dort stand niemand, der zum Pavillion zu wollen schien.
Ich ließ mich auf einer der Bänke nieder und zog die Beine an der Körper. Es war wirklich frisch heute.
Ich zog meine Ärmel über meine Hände und umschlang meine Beine.
Vermutlich sah ich total bescheuert aus, aber es war mir egal. Es war niemand da, der mich auslachen würde. Niemand der einen dummen Spruch sagen oder mich mit einem sinnlosen Kommentar zu beleidigen versuchte.
Ich war allein. So allein, wie ich noch nie gewesen war. Das Allein vor meinem Versuch hatte eine neue Bedeutung bekommen. Es war weicher und wärmer als das kalte Allein, was ich seit zwei Tagen verspürte. Jetzt war ich wirklich allein. Und genauso allein würde ich auch sterben.
Starb man nicht immer allein? Vermutlich ja. Aber es schien anders zu sein einsam zu sterben. Nicht das es bei meinem letzten Versuch anders gewesen war, aber jetzt hatte ich nun mal einen Grund mehr. Und vielleicht machte dieser Grund den Unterschied.
Im selben Moment hörte ich wie eine Tür ins Schloss fiel und hob den Kopf. Es war eindeutig die Tür von Station 4 gewesen. Ich reckte den Kopf und erkannte Taddl, der in einem stylischen schwarz blauen Hoodie zum Pavillion schlenderte.
,,Hi", begrüßte er mich und setzte sich mir gegenüber auf die Bank.
,,Hi T", erwiderte ich die Begrüßung und zwang mich sogar zu einem lächeln. Taddl griff in seine Bauchtasche und hielt mir eine Zigarette entgegen. Fragend sah er mich an.
Dankbar nickte ich und Taddl steckte sie mir an, bevor er sie mir gab. Gierig zog ich einmal daran und atmete den Rauch langsam wieder aus. Es tat gut. Sogar sehr. Ich schloss sogar für eine Sekunde die Augen und genoss den Moment in dem mein Körper kurz zur Ruhe zu kommen schien.
Aber sofort unterbracht Taddls Frage meinen Rausch:,,Wo sind die Anderen?"

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