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Ich hielt vor der Zimmertür und klopfte zögernd daran. Doch niemand reagierte und für einen Moment überlegte ich, ob es nicht besser war zu gehen. Aber sofort schoss mir ein Bild in den Kopf.
Ich, wie ich auf meinem Bett saß, die Klinge in der Hand und Rezo, wie er ins Zimmer kam. Nicht, dass ich glaubte die gleiche Situation aus Rezos Sicht zu erleben, wenn ich es betrat, doch dennoch hatte ich ihn damals gebraucht ohne es zu wissen oder zuzugeben. Vielleicht war es bei Felix genauso.
Also griff ich nach der Klinke und drückte sie nach unten. Dann betrat ich den Raum und sah mich um. Felix saß auf seinem Bett und starrte aus dem Fenster.
Als er mich bemerkte seufzte er:,,Na, schickt dich Rewi?" Sofort schüttelte ich den Kopf und ließ mich wie vorhin auf einem der Stühle nieder.
,,Ungewöhnlich", kommentierte Felix trocken. Dann schwieg er und sah weiter aus dem Fenster. Und nun? Ich musterte Felix. Wie fing man so ein Gespräch jetzt an?
,,Willst du drüber reden?", fragte ich und biss mir auf die Lippen. War das eine dumme Frage?
Felix streifte mich mit eine kurzen Blick:,,Worüber?" Also war meine Frage dumm gewesen.
,,Über gerade", hielt ich dagegen, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob diese Worte besser als die letzten waren.
,,Ey Mexify, nichts gegen dich, aber reden ist echt nicht deine Stärke", Felix sah wieder zu mir. Unbewusst nickte ich. Aber wieso war ich dann hier? Felix stand auf und musterte mich.
,,Ich habe viel erlebt mit meinen Eltern", sein Blick schweifte an mir vorbei zum Fenster, ,,Mein Vater hat meine Mutter und mich geschlagen, sie selbst war alkoholabhängig. In ihren Augen war ich nur ein Problem, das man nicht rechtzeitig ertränkt hat. Oder im Rausch des Alkohols erschlagen."
Auch wenn er ruhig sprach und versuchte seine Traurigkeit zu verbergen, hörte man sie heraus.
,,Tut mir Leid", flüsterte ich. Felix musterte mich mit einem nachdenklichen Blick, ging aber nicht auf meine Worte ein.
Dann sah er wieder aus dem Fenster:,,Als ich in der 2.Klasse war und eines Mittags nach Hause kam, standen da zwei Polizeiwagen und im Haus hat man Geschrei gehört. Eine Polizistin hat mich beiseite genommen und irgendwas gesagt. Aber ich habe nur das Geschehen im Haus wahrgenommen. Ich weiß nur noch, dass vier Polizisten irgendwann mit meinem Vater das Haus verlassen und weggefahren sind. Und dann war da noch meine Mutter. Sie ist damals weinend vor der Tür zusammengebrochen."
Er schüttelte den Kopf und seufzte.
,,Die Polizistin hat mich danach viel gefragt und irgendwann gemeint, dass mein Vater erstmal länger nicht wiederkommen würde warscheinlich. Er hatte irgendwas mit Betrug und Diebstahl zu tun gehabt, keine Ahnung", er ließ sich auf seinem Bett nieder.
,,Und er kam auch nicht wieder. Aber das hat alles nur schlimmer gemacht. Meine Mutter hat angefangen mich zu hassen. Nach einem halben Jahr hat sie mich in ein Heim gegeben. Mein auffälliges Verhalten haben mich zum ersten Psychologen gebracht", er lächelte traurig, ,,Und vielleicht habe ich da zum ersten mal kapiert, dass mein Leben beschissen ist. Das ich von Anfang an ein Problem war. Ich habe nicht in das Leben meiner Eltern gepasst, nicht in das Leben im Heim... Der Hass meiner Mutter auf mich wurde zu meinem Selbsthass. Die Schläge meines Vaters zu Schnitten auf der Haut. Aus Wasser wurde Alkohol und aus Mahlzeiten Drogen um dem Gefühl der Leere zu entfliehen."
Ich spürte ein Ziehen in der Brust. Es war nicht fair. Felix Leben war so viel beschissener gelaufen als meines und dennoch waren wir beide hier. Vielleicht hatte ich auch Probleme, aber wie sollten sie mit denen von Felix mithalten?
,,Mit vierzehn habe ich meine damaligen Medikamente gesammelt und versucht mein Leben zu beenden", wieder lächelte er, ,,Dumme Ideen. Hat mich nur ins Krankenhaus gebracht und war sehr unschön dort. Danach war ich wieder in Behandlung, bin von einem zum nächsten Psychologen gereicht worden."
Er seufzte.
,,Ich wünschte einfach manchmal, dass mein Vater mich erschlagen hätte oder meine Mutter mir eine der Weinflaschen zu fest an den Kopf geworfen hätte", wieder musterte er mich, ,,Dann gäbe es ein Problem weniger auf der Welt."
,,Du bist kein Problem", sagte ich sofort, auch wenn ich selbst merkte, wie wenig Überzeugungskraft hinter den Worten steckte.
,,Ach nein?", Felix lachte leise, ,,Mexify, mach dir nichts vor. Du weißt, dass wir nicht mehr als ein Problem sind." Wieder biss ich mir auf die Lippen. Da traf er einen guten Punkt.
,,Mir ist es gleich ob ich hier bin oder nicht", Felix zuckte mit den Schultern, ,,Es wird sich nie etwas ändern." Seine Stimme klang so belegt, dass ich kurz glaubte sie würde brechen.
Ich wollte etwas sagen, ihm irgendwie das Gefühl geben falsch zu liegen. Aber ich wusste nicht wie. Denn dann hätte ich mich selbst von etwas überzeugen müssen, dem ich nicht glaubte.
,,Du bist dennoch ein guter Mensch", versuchte ich es dennoch, ,,In meinen Augen bist du kein Problem. Eher ein guter Freund, bei dem ich froh bin ihn kennengelernt zu haben." Ich musterte Felix, doch wie erwartet trafen meine Worte nur auf eine Wand.
Dennoch zwang Felix sich zu einem Lächeln:,,Du würdest alles sagen um mir ein gutes Gefühl zu geben. Aber keine Sorge, das bin ich gewöhnt."
Er stand auf und nickte mir zu:,,Gehen wir zu den Anderen." Ich blieb sitzen und musterte Felix.
Dieser lächelte traurig:,,Mach dir nichts draus Mexify, du kannst meinen Kopf nicht ändern. Niemand kann das. Aber ich kann versuchen ihn zu verstehen und daran arbeiten. Vielleicht kann ich meine Gedanken umschreiben. Vielleicht auch nicht. Das wird die Zukunft zeigen." Mühsam erhob ich mich ebenfalls und erwiderte das Lächeln.
Dennoch fühlte ich mich wie erschlagen. Keine Ahnung was ich erwartet hatte, aber so ernüchternd hatte ich mir das Gespräch nicht ausgemalt.
Ich war mit meinen Worten gegen eine Wand gerannt und taumelnd zurückgewichen. Aber gleichzeitig kam es mir seltsam vertraut vor. Wie ein bekanntes Gefühl, das ich nicht zuordnen konnte.
Bin ich genauso eine Wand?

Psychiatrie - MexifyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt