,,Wie können doch heute Abend darüber reden, oder?", schlug Felix statt einer Antwort vor und zeigte zur Tür, ,,Mir ist nämlich echt kalt."
,,Stimme ich dir zu", schloss sich Julien sofort an und rieb sich die Hände, ,,Schnee ist ja schön und so, aber viel zu kalt." Rezo grinste, sah noch einmal zum Himmel und folgte den anderen beiden dann zurück ins Gebäude.
Ich warf noch einen schnellen Blick zum Pavillion, aber er war leer.
Kein Taddl.
Kein Ardy.
Kein Luca.
Also betrat ich ebenfalls wieder das Gebäude.
,,Treppenrennen?", fragte Felix und sah herausfordernd in die Runde.
Aber Julien winkte ab:,,Lieber nicht. Eh die uns deswegen nicht mehr rauslassen. Unsere Treppenrennen sind hier ziemlich unbeliebt."
,,Stimmt", gab Felix zerknirscht nach. Ich folgte ihnen die Treppe nach oben und betrat als letzter die Station. Hinter mir schloss sich die Glastür.
,,Und nun?", fragte Rezo und blieb im Flur stehen.
,,Gehen wir zu uns?", schlug Julien sogleich vor und sah fragend in die Runde. Felix nickte und übernahm erneut die Führung. Rezo und ich folgten ihm.
,,Alles okay?", fragte Julien und ging neben mir her. Ich zuckte bei seiner Frage zusammen und sah verwirrt in seine interessierten Augen.
,,Wieso?", stellte ich misstrauisch die Gegenfrage.
Julien lächelte nur:,,Einfach so. Ich mein, wir sind in einer scheiß Klinik, aber wenn du sagen würdest, dass es dir gut geht, weiß ich auf jeden Fall, dass du lügst." Sein Lächeln erlosch wieder und er zeigte auf Rezo, der einige Schritte vor uns ging.
Dann beugte er sich zu mir und sagt mit leiser Stimme:,,Bei Rezo zum Beispiel weißt du, dass er immer lügt." Ich zog eine Augenbraue hoch und dachte über den Satz nach.
Auf einer Seite hatte Julien Recht. Wer nach einem Suizidversuch sagte, dass es ihm gut ging, der log. Und auch bei Rezo wusste ich das er log. Aber er war jemand, der es so gut überspielen konnte, dass er mehr wie der glücklichste Mensch auf Erden wirken konnte. Belog er sich wohl selbst auch ein bisschen mehr als er wollte? Vielleicht.
Vielleicht interpretierte ich in Juliens Satz aber auch einfach nur zu viel hinein.
Vielleicht wollte ich in allem etwas schlechtes sehen, weil etwas Gutes nicht in mein kaputtes Leben passte. Es wäre wie das letzte Puzzleteil, dass man euphorisch in das Puzzle setzen wollte und plötzlich merkt, dass es zu einem anderen Puzzle gehört.
Manchmal kam es mir wirklich genauso vor. Freude und Glück passten nicht zu mir. Sie waren wie zwei Charaktereigenschaften, die man nie erreichen konnte, weil man zu schüchtern war um sich etwas zuzutrauen. Ich spürte wie ich einen Kloß im Hals bekam.
Mein Leben war wie ein schlechtes Buch. Ein Buch, dass man aufschlug und zu lesen began, aber schon nach einem Kapitel merkt, dass man es nicht lesen will.
Schlecht geschrieben, zu viele Fehler, langweiliger Protagonist, kein nennenswerter Inhalt, nur eines von vielen. Man würde es zurück ins Regal legen und sich einem anderen zuwenden. Eines das Abenteuer erlebt, Freundschaft, vielleicht sogar Liebe. Mit einem guten Happy End und einer glücklichen Hauptfigur.
Mein Buch würden nur die Menschen lesen, die selbst in einem solchen Buch vorkamen. Und selbst die würden es vermutlich irgendwann beiseite legen und sich das Leben nehmen, weil es sie abfuckte, dass es die Hauptfigur des Buches nicht geschafft hatte und die ganze Zeit nur darauf einging. Sich darüber beschwerte, dass er selbst zu dumm gewesen sah. Die Leser würden genervt die Augen verdrehen. Und dann würde man das Buch aus dem Verkauf nehmen und zerschreddern. Und was blieb?
Man schrieb neue Bücher auf dessen Seiten. Überschrieb sie einfach und vergaß, dass es einmal eine andere Geschichte geführt hatte. Und niemand würde wissen wie das Buch enden würde. Weil es selbst der Protagonist nicht wusste. Weil ich es nicht weiß.
Dafür das ich kein Interesse für Bücher über hatte, konnte ich meines ganz gut beschreiben. Vielleicht sollte ich genau dieses Buch schreiben. Einfach nur um mein Leben auf Papier festzuhalten.
Ich würde der Figur einen anderen Namen geben, sie in ein anderes Szenario werfen, aber ihr das gleiche Leid auf die Buchseiten und die Haut schreiben. Druckerfarbe und Narben, die eine Geschichte erzählten.
Manche Psychologen rieten einem doch seine Gedanken aufzuschreiben, war es nicht so?
Nun, ich tat es nicht. Wie sollte ich es auch aushalten wieder und wieder zu lesen, wie scheiße es mir ging? Zumal ich Gedanken und Gefühle nicht in Worte fassen konnte. Ich konnte sie nur fühlen und das reichte mir. Es reichte für dieses kaputte Leben, dass man mit einem Schnitt beenden konnte.
,,Herein ins Wunderland", scherzte Rezo und öffnete die Zimmertür. Ich schob meine dämlichen Gedanken beiseite und betrat das Zimmer. Wie immer unordentlich, aber irgendwie auch gemütlich mit Juliens Zeichnungen an der Tür und den bunten Kleidungsstücken zwischen den schwarzen.
Ich sah zwischen Rezos Bett und einem der Stühle hin und her. Rezo nahm mir schließlich die Entscheidung ab und schob mich zu seinem Bett. Ich ließ mich darauf nieder, während der blauhaarige die Tür schloss. Felix setzte sich selbstverständlich im Schneidersitz auf Juliens Bett und musterte das Chaos.
,,Sieht schlimmer aus als bei Rewi und mir", kommentierte er schließlich.
Julien setzte sich neben ihn und gab ihm eine sanfte Ohrfeige:,,Ihr seid ja auch noch nicht lange hier."
Felix schlug seine Hand weg und warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu:,,Echt jetzt Ju? Du fährst die Schiene?"
,,Die zieht halt", mischte Rezo sich ein und setzte sich neben mich.
,,Dreist", Felix schmollte gespielt beleidigt. Ich ließ meinen Blick weiterhin durchs Zimmer wandern.
Wo versteckte Rezo eigentlich seine Klingen? Hatte er noch welche? Oder nahmen die Pfleger ihm sie ab, sobald sie davon Wind bekamen? Kurz sah ich auch auf meinen Arm. Die Pfleger würden meine nicht erfahren. Hoffentlich.
,,Und nun?", fragte Julien. Ich zuckte mit den Schultern. Mein Beitrag an dem Gespräch also. Ich brachte mich mal wieder super ein. Aber Reden war leider nicht meine Stärke. Wobei ich genau genommen keine besaß.
Ein langweiliges Buch eben...
DU LIEST GERADE
Psychiatrie - Mexify
Fanfiction,,Bevor ich an meinen Gedanken sterbe, beende ich es lieber selbst" Nach einem gescheiterten Suizidversuch wird der 17.jährige Mexify in die Psychiatrie eingewiesen. Man will seine Psyche in den Griff bekommen, aber für Mexify scheint es nur noch ei...