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Ich starrte auf mein Spiegelbild auf dem zersprungenen Display und betrachtete wie der Riss darauf mein Gesicht in zwei Hälften teilte. Eine weitere Träne löste sich und tropfte auf mein Handgelenk. Ich spürte wie mir weitere Tränen in die Augen stiegen und ich wandte den Blick zum Fenster.
Draußen dämmerte es bereits und die Sonne schickte ihre letzten Strahlen durch die Scheibe in mein Zimmer.
Ich blinzelte und sah zurück auf mein Handy. Dabei fiel mein Blick auf Rezos Hoodie neben mir. Scheiße, wieso trifft mich dein Tod immernoch?
Ich griff danach und drückte ihn an meine Brust. Wie gern ich jezt eine Umarmung von ihm gehabt hätte. Eine allerletzte. Ein paar kleine Worte, sein schlagendes Herz, seine Wärme. Aber er war fort. Es gab keine Worte mehr, sein Herz war still und alle Wärme von ihm gewichen. Ich vermisse dich so unendlich.
Weitere Tränen liefen über mein Gesicht und ich wischte sie achtlos fort. Scheiß Tränen.
Ich ließ den Hoodie sinken und musterte ihn. Dann griff ich nach kurzer Überlegung in die Bauchtasche und zog den zerknitterten Umschlag hervor. Rezos Abschiedsbrief.
Ich legte ihn vor mir auf die Bettdecke und musterte ihn. Seine letzten Worte an diese Welt. Aber ich schüttelte nur den Kopf. Ich wollte nicht wissen, was er geschrieben hatte. Du hättest mir deine Worte sagen können, statt sie zu schreiben.
Wieder war da diese Wut. Wut darüber, dass er einfach so gegangen war. Das er mich allein gelassen hatte auf dieser scheiß Welt.
Aber gleichzeitig war es nicht fair so zu denken. Er hatte es wirklich versucht, das wusste ich.
Ich griff zu der Klinge auf der Fensterbank und betrachtete sie. Die letzten Sonnenstrahlen spiegelten sich auf der glatten Oberfläche. Fuck. Ich könnte es tun. Jetzt und hier. Meine scheiß Gedanken endlich beenden und für immer verschwinden. Ich könnte es tun. Genau jetzt.
Ich schüttelte den Kopf und legte sie zurück auf die Fensterbank. Nein, ich konnte nicht gehen ohne zu wissen, was seine letzten Worte an diese Welt waren. An mich.
Ich griff nach der Zigarette neben der Klinge und zog daran. Langsam blies ich den Rauch in die Luft und beobachtete, wie er sich im Raum verteilte. Den abgestandenen Geschmack nahm ich immernoch viel zu intensiv wahr.
Früher war das anders gewesen. Als ich täglich geraucht hatte, war es irgendwann normal geworden. Aber jetzt schien jeder Zug wie eine Bestrafung für meine Schwäche zu sein.
Ich griff vorsichtig nach dem Umschlag und drehte ihn in meiner Hand. Er war leicht. Bloß die kleine Wölbung an der Vorderseite verriet, dass er mehr beeinhaltete als bloße Worte.
Nachdenklich griff ich erneut nach der Klinge und schnitt den Umschlag auf. Erneut nahm ich einen Zug und atmete langsam den bitteren Rauch aus. Dann legte ich sie zusammen mit der Zigarette erneut auf der Fensterbank ab und schüttete den Inhalt des Umschlags auf mein Bett.
Ein zusammengefalteter Zettel und eine kleine Figur fielen auf meine Bettdecke. Vorsichtig griff ich danach und hielt sie in die Sonne. Sofort lief eine weitere Träne über mein Gesicht und ich holte tief Luft. Am liebsten hätte ich sie zurück in den Umschlag gelegt und vergessen.
Es war die Olaffigur, die Rezo sich bei unserem Lebkuchenhaus ausgesucht hatte. Sofort kamen all die Erinnerung an jenen Tag zurück ich konnte nicht verhindern, dass ich leise schluchzen musste. Rezos letzter Tag. Wir hatte so viel gelacht und wofür das alles? Dafür das er am nächsten Tag gegangen war?
Ich kniff die Augen zusammen und umschloss die Figur mit meiner Hand. Scheiße Rezo, wieso errinnerst du mich daran?
Ich öffnete meine Augen wieder und griff vorsichtig nach dem gefalteten Papier. Erneut wischte ich mir sie Tränen aus dem Gesicht und holte tief Luft. Dann faltete ich den Zettel auseinander und began die geschriebenen Zeilen zu lesen:

Lieber Mexi,
Ich hatte nie vor nochmal einen Abschiedsbrief zu schreiben. Und auch jetzt bin ich mir nicht sicher, ob es richtig ist. Ich weiß nicht einmal was genau ich dir schreiben will. Ich weiß überhaupt nichts mehr. Nur eine Sache weiß ich mit Sicherheit: Ich werde es beenden.
Seit meiner Ankunft hier wusste ich, dass ich gehen würde. Es war nur eine Frage der Zeit.
Ich wusste es, als ich Julien kennengelernt habe. Als ich beschloss eine Freundschaft mit Rewi und Felix aufzubauen. Als ich das erste mal mit Taddl und Ardy im Pavillion geredet habe. Ich wusste immer, dass wir nur Freunde auf Zeit sind. Gefangen in einer Sanduhr, dessen Zeit mit jeder Sekunde abläuft und an Kostbarkeit gewinnt. Und als die Zeit abgelaufen war, kamst plötzlich du in mein Leben. Hast das letzte Sandkorn in deinen Händen gehalten und nicht hergegeben.
Ich habe versucht deinetwegen zu bleiben, aber ich kann nicht. Es zerreißt mir mein Herz zu wissen, dass ich dich hier zurücklassen muss, aber dieses mal bin ich derjenige, der egoistisch sein muss. Ich hätte mir wirklich gewünscht dich früher kennengelernt zu haben und das wir mehr Zeit zusammen gehabt hätten. Aber das Leben hat bestimmt, dass es mich nicht gehen lässt, ohne die härteste Entscheidung meines Lebens treffen zu müssen. Und das habe ich nun.
Wenn du morgen aufwachst, werde ich nicht mehr hier sein. Dann bin ich fort.
Für immer. Und das ist okay so.
Ich habe keine Angst davor zu sterben, nur davor dich hier zurücklassen zu müssen.
Dich auf dieser Welt allein zu lassen mit dem Wissen, dass du genauso denkst und fühlst wie ich, ist das egoistischte was ich je getan habe. Aber ich werde es tun, weil ich kein guter Mensch bin, Mexi. Auch wenn du anders von mir denkst.
Ich wünsche dir alles Gute. Vielleicht schaffst du, was ich nie geschafft habe und kannst deinen Frieden finden. Ich wünsche es dir von Herzen. Du warst mir wirklich wichtig.
Leb wohl mein Freund.
Rezo

Mit zitternden Händen ließ ich den Brief sinken, während die Tränen über mein Gesicht liefen und auf das Papier tropften. Ich wandte meinen Blick zu der Sonne, die gerade hinter den Häusern verschwand. Du warst mir auch so unfassbar wichtig...

Psychiatrie - MexifyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt