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Ich ließ mich auf einem der rotes Sofas nieder und lehnte mich gegen das weiche Polster. Dann starrte ich einfach nur vor mich hin und dachte über mein Leben nach.
Über meine Dummheit zu glauben, dass Freunde mich ändern könnten. Meine Dummheit mir Klingen zu beschaffen und wie ein Irrer meine Haut zu fazieren. Meine Dummheit meinen ersten Versuch zu vermasseln. Meine Dummheit es überhaupt versucht zu haben.
Jeder Tag mehr in meiner persönlichen Hölle war besser gewesen als jede Stunde die ich verbrachte, wissend, dass ich Rezo verloren hatte. Weil ich so scheiße dumm gewesen war die Klingen über ihn zu stellen, obwohl er ebenfalls zu einer geworden war.
Denn wenn man es genau betrachtete, war Rezo zu meiner Klinge geworden. Er hatte mich umarmt statt mir weh zu tun. Er war einfach nur da gewesen bei jedem scheiß Gedanken, wenn ich es zugelassen hatte. Aber am Ende war er eben nur eine Klinge gewesen.
Nicht gut genug um mich am Leben zu halten. Nur gut genug um mir einen weiteren Grund zum gehen zu geben. Ja, der Vergleich passte.
Als die ersten Jugendlichen den Raum betraten hob ich nichtmal den Kopf. Ich bemerkte nur, wie sie sich um den Tisch verteilten um einer weiteren sinnlosen Therapiesitzung beizuwohnen.
Erst als Frau Tuhn mit einer anderen Pflegerin den Raum betrat, stand ich mühsam auf und ließ mich einfach auf einem freien Stuhl am Tisch nieder. Es war mir egal, ob die anderen mich anstarrten oder was die Pfleger von mir dachten. Fast alle hier im Raum waren Psychos, an den Anblick gebrochener Menschen sollten sie gewöhnt sein.
Erst als Julien, Rewi und Felix den Raum betraten hob ich kurz den Kopf und senkte ihn gleich wieder. Es versetzte meinem Herz einen Stich. Ja, auch sie waren zu Klingen geworden. Irgendwie.
Vielleicht nicht so scharf, aber auch ihnen verdankte ich eine Menge. Und ich war nicht fair zu ihnen. Keiner von ihnen verdiente, was ich ihnen angetan hatte und antun würde. Denn irgendwo war ich ihnen leider wichtig geworden, wieso auch immer.
Die drei setzten sich auf die Bank ein Stück entfernt von mir und ich spürte ihre Blicke auf mir ruhen. Aber ich erwiderte sie nicht. Ich hatte einen Entschluss gefasst und es war leichter sie zurück zu lassen, wenn ich ihnen nicht mehr wichtig war. Das würde es uns allen leichter machen. So wie bei Rezo...
Ich spürte wie mir erneut Tränen in die Augen stiegen. Er hatte mir den Entschluss leichter gemacht, als ich je gedacht hätte.
,,Seid ihr vollzählig?", fragte Frau Tuhn und rückte ihren Stuhl am Ende des Tisches zurecht.
,,Yannik fehlt noch", bemerkte Patrick, der neben mir saß.
,,Dann warten wir noch kurz", Frau Tuhn blätterte in einer Mappe, ,,Weißt du was von ihm Julien?"
Ich riskierte einen Blick zu diesem, aber er zuckte nur mit den Schultern und sah zur Tür. Rezo würde nicht kommen. Er saß lieber im Zimmer und hasste mich.
Aber genau als ich das dachte betrat eine Person den Raum und ließ sie wortlos auf einem der letzten freien Stühle nieder. Ich brauchte der Person nicht ins Gesicht zu sehen um zu wissen, dass es Rezo war.
Meine Brust zog sich zusammen als ob sie mein Herz zerquetschen wollte. Gleichzeitig kniff ich für einen Moment die Augen zusammen um die Tränen loszuwerden. Ich würde nicht wieder weinen. Nicht vor allen. Vor niemandem mehr.
,,Dann sind wir ja vollzählig", Frau Tuhn lächelte, ,,Wie war eure Woche?" Scheiße. Vermutlich stellte sie die Frage an uns alle, aber niemand antwortete.
,,Felix, wie war deine Woche?", ließ Frau Tuhn nicht locker und sprach den hageren Jungen direkt an.
Felix zuckte mit den Schultern:,,Gut." Man sah ihm mühelos an, dass er log. Aber er versuchte es auch nicht wirklich zu verstecken. Sein Blick ruhte abwechselnd auf Rezo und mir. Aber der Blauhaarige sah bloß teilnahmslos zu den Pflegerinnen.
Frau Tuhn schien seinen Kommentar hinzunehmen, denn sie begann irgendwas von den Wochenzielen zu erzählen. Aber ich schaltete ab und starrte weiterhin auf den Tisch vor mir.
Das Rezo ebenfalls hier war und wir keine Freunde mehr waren, tat weh. Die letzten male hatten wir hier nebeneinander gesessen und das hier gemeinsam ertragen. Danach hatten wir uns über die Sinnlosigkeit der Gespräche beschwert und irgendwas mit den Anderen gemacht. Und jetzt saßen wir hier wie zwei Fremde.
,,Ich habe mein Wochenziel erreicht", hörte ich das Mädchen neben Rezo gerade sagen und wagte einen Blick zu ihr. Es war Antonia.
,,Als nächstes Ziel möchte ich jeden Tag Tagebuch schreiben", erzählte sie weiter und lächelte. Immerhin ihr Lächeln schien echt zu sein.
,,Ein schönes Ziel", Frau Tuhn lächelte zurück.
,,Yannik, was ist mit dir?", fragte sie weiter. Ich folgte ihrem Blick zu Rezo. Fast wünschte ich mir einen Blick zurück. Nur einen kurzen Blick, der mir irgendwas anderes sagte als "Ich hasse dich". Aber das würde alles nur unnötig verkomplizieren. Und Rezo war nicht so dumm. Er hatte verstanden, dass ich scheiße war.
,,Ich habe ein neues Wochenziel", hob er schließlich nach einer Weile an und schenkte Frau Tuhn ein lächeln, ,,Damit ich nicht immer das Gleiche habe."
,,Das höre ich gerne", Frau Tuhn schien begeistert und klickte mit ihrem Kugelschreiber um es zu notieren, ,,Welches denn?"
In dem Moment begegnete Rezo meinem Blick. Blau traf wieder auf Braun. Wie ein Stück Holz, dass sich auf einem weiter blauen Ozean verlor. Kurz glaubte ich, dass er zögerte. Für eine winzige Sekunde.
Aber dann sagte er seine Antwort. Und im selben Moment hörte ich mich auf dem Boden zerbrechen. Als hätte mein Fall ein Ende gefunden.
Ich spürte die Tränen, die sich auf mein Gesicht brannten.
Hörte mein Herz, dass aufhören wollte zu schlagen.
,,Ich möchte aufhören mich mit Mensch zu umgeben, denen man nicht vertrauen kann", seine Worte hallte durch meinen Kopf. Immer und immer wieder.
Kalt wie Eis. Hart wie Eisen. Scharf wie eine Klinge. Tödlich wie Gift.
Brauchst du noch mehr Beweise, Mexi? Brauchst du wirklich noch mehr? Er hasst dich! 

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Hatte gestern Abend leider ziemliche Kopfschmerzen, deswegen heute erst. Was ist das schlimmste, das jemand zu euch gesagt hat?

Psychiatrie - MexifyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt