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Felix zuckte gleichgültig mit den Schultern:,,Keine Ahnung." Er winkelte die Beine an und stützte seine Arme darauf.
,,Es ist schwierig, Mexi weißt du", setzte er nachdenklich hinzu, ,,Ich habe Lust zu leben, aber manchmal habe ich einfach das Gefühl, dass es sinnlos ist es zu versuchen. Keine Ahnung... du verstehst es ja auch sterben zu wollen. Aber ich glaube bei mir ist das nochmal anders. Ich hab vielleicht Depressionen, aber keine akuten Suizidgedanken. Es ist mehr eine Art Kurzschlussreaktion. Wie es bei einer Person mit Borderline passieren kann. Nur das ich kein Borderline habe. Versteht man das?" Er sah zu mir und ich nickte.
,,Irgendwie", murmelte ich.
Es stimmte. Bei mir war es anders. Auch wenn ich hier saß, lachte und mit den anderen redete, tief in mir war immer der Gedanke, dass ich es beenden wollte. So schön es in manchen Momenten auch war, so schlecht ging es mir in anderen. Der Gedanke sterben zu wollen war keine Kurzschlussreaktion, eher ein Dauerzustand.
,,Am besten bleibst du einfach hier", Rewi strich Felix durch die Haare.
,,Bestimmt", versicherte Felix und lächelte. Auch wenn eine gewisse Unsicherheit darin mitschwang, ,,Ich muss euch Spastis doch beistehen."
,,Selber Spasti", entgegnete Julien.
,,Ey, immerhin hab ich keinen dummen Abschiedsbrief hinterlassen", Felix zeigte zu Rezo. Für einen Moment erwartete ich beihnahe eine heftige Reaktion von Rezo und hielt den Atem an.
Aber dieser schüttelte nur den Kopf:,,Tja, ich bin eben kitschig."
,,Würden wir auch einen bekommen?", fragte Felix weiter.
Trotz der Dunkelheit sah ich wie Rezo kurz lächelte:,,Mit Sicherheit." Dann schwieg er wieder.
,,Zum Glück werden wir aber nie einen bekommen", mischte sich Rewi mit ernster Stimme ein, ,,Richtig Rezo?"
Sofort nickte dieser:,,Keine Sorge."
,,Besser ist das", Rewis Gesichtszüge entspannten sich wieder.
,,Ich musste damals auf 2 einen verfassen", lachte Felix, ,,War wohl so ne Art Therapie, aber irgendwie doch sehr daneben find ich. Ich mein, was erwarten die? Das es irgendwas an der Situation ändert?" Er schüttelte nur den Kopf.
,,Ich musste einen Brief an meine Wut schreiben", man hörte wie Rewi sein Lachen bei der Erinnerung zurückhielt. Das war noch bescheuerter."
Julien konnte sich sein Lachen hingegen nicht verkneifen:,,Kann man den irgendwo einsehen?" Ich schmunzelte ebenfalls. Wäre bestimmt lustig.
,,Ne, den haben die vernichtet soweit ich weiß. Ist auch besser so", Rewi verschränkte die Arme hinter seinem Kopf.
,,Och schade", beschwerte sich Julien grinsend.
,,Musstest du nicht mal nen Gedicht über deine Gefühle schreiben, Rezo?", erinnerte sich Felix sofort.
,,Erinner mich doch nicht daran", stöhnte Rezo, ,,Das war die schlimmste Therapiestunde überhaupt."
,,Echt?", grinste ich. Rezo sah zu mir und nickte.
,,Hast du noch ne Zeile parat?", fragte Rewi interessiert. Rezo überlegte einen Moment.
,,Ah ja, ich glaub eine war sowas wie "Auch wenn ihr ein Teil von mir seid, wäre ich gern von euch befreit" oder so", die Erinnerung ließ auch ihn grinsen, ,,Jetzt wo ich drüber nachdenke wars echt dumm."
Rewi und Felix begannen sofort zu lachen, aber ich musterte Rezo eine Weile. Ja, die Zeile war dumm, aber sie trug dennoch eine gewisse Wahrheit in sich.
Ich hatte oftmals das Gefühl gehabt, dass meine Gefühle kein Teil von mir waren, sodern mehr wie eine Last, die ein Fremder mir auferlegt hatte. Ich hatte keine Kontrolle über sie, konnte sie jedoch fühlen, wie einen Sack Steine auf den Schultern. Machtlos, aber gezeichnet von ihnen.
,,Ey lacht nicht, das müsst ihr bestimmt auch noch", verteidigte sich Rezo und rollte mit den Augen.
,,Ganz sicher nicht", gluckste Felix.
,,Also so bescheuertes Zeug wie ihr musste ich noch nicht machen", stellte ich klar. Auch wenn die Therapiestunden bisher immer miserabel gelaufen waren, so demütigend waren sie noch nicht gewesen.
Rezo legte mir die Hand auf die Schulter:,,Keine Sorge das kommt noch. Dann machst du Fantasiereisen, liegst zu Musik auf dem Boden und musst deine Lebensgeschichte aus der Sicht einer Dachsfamilie oder so erzählen."
,,Bitte was?", fragte ich lachend.
,,Das gabs hier echt schon", mischte sich auch Rewi ein, ,,Das mit den Dachsen musste Taddl machen."
,,Oh Gott, der Arme", lachte ich.
,,Ja, aber glaube das ist seine Lieblinsgeschichte mitlerweile, weswegen die Klinik sinnlos ist", lachte auch Julien.
,,Therapien sind auch echt sinnlos", stellte Felix nachdenklich fest, ,,Ich mein, es gab keine wo ich sagen würde, dass die mich irgendwie weitergebracht hat."
,,Fühl ich", bestätigte auch Rewi.
Julien überlegte einen Moment:,,Kommt drauf an. Ich glaub irgendwo ist es auch eine Sache der Einstellung."
,,Immer der Streber", grinste Felix, ,,Aber freut mich für dich Ju."
,,Was sagst du dazu Rezo?", fragte Rewi diesen, ,,Du hast ja da die meiste Erfahrung." Wir anderen schwiegen und sahen zu Rezo.
Dieser zuckte mit den Schultern:,,Keine Ahnung. Das Thema müssen wir grad aber auch nicht anreißen."
,,Welches Thema?", ich zog eine Augenbraue hoch und musterte ihn fragend.
,,Ach, Rewi will nur darauf hinaus, dass ich vor dieser Klinik schonmal in einer war und da auch schon Therapie hatte", Rezo warf Rewi einen kurzen Blick zu, aus dem ich nicht schlau wurde.
,,Oh verstehe", ich fühlte mich sofort schlecht, ,,Sorry, dass wusste ich nicht."
,,Kein Ding", Rezo lächelte. Ich musterte ihn weiterhin, während Julien begann weiter über Therapien zu sprechen.
Er war schonmal in einer Psychiatrie gwesen? Wieso hatte er das nie erzählt?
Aber es machte irgendwo auch Sinn. Er hatte zwei Versuche hinter sich und nach dem ersten hatten sie ihn wohl kaum einfach wieder nach Hause geschickt. Und dennoch war da ein komisches Gefühl in mir.
Wieso hatte er das bisher nicht erzählt? Er hatte es nichtmal ansatzweise erwähnt. Wollte er es verschweigen? Oder sprach er einfach nur nicht gerne drüber.
Was verschweigst du uns noch?
Immer wieder, wenn ich glaubte Rezo zu verstehen, belehrte er mich mit dem Gegenteil.
Ich war wie eine Katze, die einem Vogel hinterherief und ihm immer näher kam. Aber sobald ich nah genug dran war, erhob sich der Vogel in die Luft und ließ mich mit leeren Pfoten zurück. Immer und immer wieder. Und ich kam ihm nicht näher, als er mich ließ. Egal was ich versuchte, wie geschickt ich vorging oder wie mutig ich wurde.
Der Vogel war klüger.

Psychiatrie - MexifyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt