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Ich spürte wie mir Taddls Frage einen Stich versetzte. Ja Mexify, wo sind die Anderen? Ich zog erneut an der Zigarette und schloss die Augen. Die Anderen sind fort, weil ich sie belogen habe. Weil ich ihnen zu viel geworden bin. Aber ich sprach es nicht aus.
Taddl hatte gewiss keine Lüge verdient, aber die Wahrheit konnte ich ihm einfach nicht sagen. Zum einen schmerzte sie zu sehr und zum anderen würde sie meinen Plan gefährden. Und das konnte ich mir einfach nicht mehr leisten.
,,Die haben Therapie und so", log ich und blies den Rauch in die kalte Luft. Dann sah ich zu Taddl, der nur nickte und ebenfalls an seiner Zigarette zog.
Ich ließ die Zigarette sinken und betrachtete das glühende Ende. Glaubte man mir wirklich so schnell? War ich so gut im lügen geworden?
Ich spürte wie sich wieder Tränen in meinen Augen sammelten, aber ich ignorierte sie und zog stattdessen erneut an der Zigarette. Der bittere Geschmack in meinem Mund passte sogar zu meiner Übelkeit. Vielleicht würde ich später einfach nur kotzen gehen.
Ich musterte Taddl, der nachdenklich den Innenhof musterte. Meine Frage war riskant, aber ich würde sie stellen müssen, wenn ich endlich sterben wollte. Ich holte tief Luft.
,,Ich soll dich von Rezo was fragen", hob ich dann möglichst desinteressiert an, auch wenn mein Herz vor Aufregung in meiner Brust hämmerte.
Interessiert sah Taddl zu mir. Jetzt oder nie.
,,Ich soll dich fragen, wann er Luca wieder treffen kann. Keine Ahnung wieso", murmelte ich und zog mit zitternden Händen an der Zigarette. Sofort änderte sich Taddls Gesichtausdruck und er sah nachdenklich und angespannt zu mir.
Gleichzeitig war da eine Spur Sorge in seinen Augen, die er so gut es ging zu verbergen versuchte. Aber es misslang.
,,Luca?", wiederholte er mit einem genervten Unterton. Ich nickte einfach und versuchte mir meine Anspannung nicht anmerken zu lassen. Taddl seufzte und ließ sich gegen die Rückenlehne der Bank fallen.
Wem tust du eigentlich nicht weh? Ich ignorierte das schlechte Gewissen, dass an mir zu nagen begann. Keiner von ihnen hatte es verdient belogen zu werden. Taddl hatte sogar überhaupt nichts damit zu tun. Er war wie ein Spielball den zufällig auf die Straße gerollt und in einen Unfall verwickelt worden war.
Ich nutze ihn aus. Er ist nur mein Mittel zum Zweck. Erneut zog sich mein Herz zusammen bei der Erkenntnis.
Ja, ich nutze Taddl aus. Schon wieder. Schon wieder war er in meinen Untergang verwickelt. Wie bei der Klinge damals spielte er eine Nebenrolle in meiner Tragödie. 
Taddl war immer nett zu mir gewesen, hatte mir von Anfang an mehr Vertrauen geschenkt als jeder andere hier und umso mehr tat es weh ihn nur aus zu nutzen.
Ich musterte die Bank unter mir. Wie lange war es her, dass wir hier gesessen und sein dämliches Fragenspiel gespielt hatten? Es schien Jahre her zu sein und doch konnten es nur einige Wochen gewesen sein.
Ich zog an der Zigarette und blies der Rauch vor mir her. Taddl hatte mehr verdient als das. Er hatte die Wahrheit verdient. Eine Wahrheit, die ich ihm jedoch nicht geben konnte. Sorry Taddl, dafür bin ich zu egoistisch.
,,Was will Rezo von Luca?", fragte Taddl überflüssigerweise. Ich weiß es. Und du auch. Aber ich zuckte nur mit den Schultern. Den Unschuldigen zu spielen fiel mir erstaunlich leicht.
Ich sah in Taddls Augen, wie er mit sich rang. Und zum ersten mal fragte ich mich wieso. Wieso war er diese Verbindung zwischen Rezo und Luca, wenn er genau wusste was er sich mit den Klingen antat? Denn das wusste er zweifellos besser als wir alle. Aber wieso? Was war der Grund?
Du wirst ihn nie erfahren, Mexi. Dein Weg wird vorher enden. Ich zwang mich zu einem inneren Lächeln, auch wenn es so traurig war, dass es nicht nach außen drang. Man muss nicht alles wissen.
,,Ey, wieso ist Rezo so?", stöhnte Taddl und stand genervt auf. Offenbar wühlte ihn meine Lüge mehr auf, als ich gedacht hätte. Verwirrt musterte ich ihn.
,,Wie?", hakte ich nach. Aber Taddl winkte nur ab und schien weiter mit sich zu rinnen. Und wieder fragte ich mich wieso.
Aber in dem Moment hielt Taddl inne und atmete tief durch. Dann seufzte er und drückte die Zigarette am Holz der Bank aus.
,,Okay, Mexi", er holte tief Luft und man sah ihm an, wie schwer es ihm fiel, ,,Sag Rezo, dass Luca morgen um die Uhrzeit hier ist. Aber ich will morgen Nachmittag nochmal mit ihm reden."
,,Klar", ich nickte stumm. Aber innerlich spürte ich wie eine gewisse Ruhe mein Herz ergriff. Eine merkwürdige Ruhe, die ich nur einmal gespürt hatte. Kurz vor meinem Versuch, als ich beschlossen hatte es wirklich zu tun.
Es war der Moment gewesen, an dem ich wirklich entschieden hatte, dass ich es tun würde. An dem ich beschlossen hatte, meinem Leben ein Ende zu setzen.
Und jetzt kehrte dieses Gefühl zurück. Es war als würden all dir negativen Gefühle sich langsam zur Ruhe setzen. Als würde mein Kopf langsam leiser werden und mein Herz nicht mehr so laut schlagen wie zuvor.
Danke Taddl. Ich musterte ihn eine Weile. Wenn er wüsste, wie sehr er mir dabei half... aber er würde es nie erfahren. Und vielleicht war es auch besser so. Es wäre unfair, wenn er sich die Schuld für meinen Suizid geben würde.
,,Ich sags ihm", ich zwang mich zu einem Lächeln und stand dann auf. Die Zigarette schmiss ich ihn den Mülleimer und musterte Taddl noch einmal. Vielleicht zum letzten mal.
,,Gehst du schon?", fragte er irritiert. Ich nickte:,,Hab gleich auch Therapie."
,,Oh verstehe, viel Glück", murmelte Taddl und setzte sich wieder.
,,Danke", ich spürte, wie viel mehr als das ich in dieses eine Wort legte. Denn es war viel mehr, wofür ich ihm danken musste.
Dann riss ich mich von ihm los und ging in Richtung der Stationstür zu Station 3. Aber die Ruhe verging nicht. Sie würde erst vergehen, wenn es vorbei war. Wenn einfach alles vorbei war. Ich musste unfreiwillig lächeln. Morgen...

Psychiatrie - MexifyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt