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Ichöffnete die Tür zu meinem Zimmer und betrat den weißen Raum.
,,Willkommen", murmelte ich etwas unsicher.
Felix legte seinen Rucksack ab und schloss die Tür. Ich beobachtete ihn, wie er das Zimmer abschritt und einen Blick aus dem Fenster warf.
,,Du kannst den rechten Schrank haben", ich nickte auf den hässlichen Holzschrank. Felix nickte und ließ sich auf dem anderen Bett nieder. Er atmete tief durch.
,,Alles okay?", fragte ich, obwohl ich mir dabei total dumm vorkam. Als wäre hier irgendwas okay.
Mexi, er kommt aus der Geschlossenen, was erwartest du?! Ich sollte mich mal selbst Ohrfeigen.
Er antwortete nicht, sondern stand auf und began einige Klamotten in den Schrank zu räumen. Dann holte er einen kleinen Stoffteddy aus dem Rucksack und stellte ihn auf die Fensterbank.
,,Was dagegen wenn er hier steht?", fragte er mich. Ich schüttelte sofort den Kopf.
,,Den habe ich in der Therapie damals auf Station 4 gemacht", erzählte er, auch wenn Traurigkeit in seiner Stimme mitschwang.
,,Ist hübsch", ich wusste nicht wirklich ob das ein angebrachter Kommentar war, aber etwas besseres viel mir nicht ein.
Ich setzte mich auf mein Bett und beobachtete Felix. Dieser ging zum Tisch und setzte sich auf einen der Stühle. Dabei fiel sein Blick auf meinen Fragebogen, der noch immer unbeschriftet dalag.
,,Ach der gute alte Bogen", er überflog ihn grob.
,,Musst du noch ausfüllen", er wedelte mit dem Papier in meine Richtung.
Ich nickte:,,Mir fällt nichts ein."
War auch irgendwie die Wahrheit. Ich wusste zwar wieso ich sterben wollte, aber es in Worte zu fassen schien mir unmöglich.
,,Verstehe", Felix schwieg. Und ich ebenfalls. Die ganze Situation war unangenehm.
Den Rückweg über hatte Rezo mit Felix geredet, aber der hatte jetzt Therapie. Und Julien war bei seiner Musiktherapie. Stattdessen saß ich jetzt hier mit Felix, den ich nicht kannte und mit dem ich nichts wirklich anzufangen wusste.
Jetzt waren hier schon zwei Psychos im Zimmer die Sterben wollten.
,,Wie ist die Geschlossene?", fragte ich um die Stille zu umgehen. Die Frage war falsch. Aber etwas anderes fiel mir nicht ein.
Ich biss mir auf die Lippen. Dumme Frage, Mexi.
,,Es ist anders als hier oder auf 4", antwortete er bereitwillig, aber auch reserviert, ,,Hier hat man deutlich mehr Freiheiten." Ich nickte nur.
,,Aber beides wünsche ich keinem", er lächelte mich an und deutete dann auf das Blatt.
,,Wie hast dus versucht?", fragte er. Seine direkte Frage überraschte mich, allerdings war ich ja nicht weniger direkt gewesen.
,,Tabletten", ich zuckte mit den Schultern, ,,Schien mir sicher zu sein. Wars nicht."
Felix winkte ab:,,Keine Methode ist sicher. Selbst mein Zug war da zu unsicher."
,,Tut mir Leid", sagte ich leise.
,,Kann man nichts machen", Felix stand auf und setzte sich wieder auf sein Bett.
,,Hat Rezo sich in meiner Abwesenheit was angetan?", er sah zu mir. Ich nickte kurz.
Es wunderte mich nicht, dass er es so geradeheraus ansprach. Er schien direkt zu sein. Aber vielleicht war das auch seine Art mit dem Ort hier klarzukommen.
,,Der Deppen", stöhnte Felix auf und ließ sich aufs Bett fallen. Er starrte an die Decke und sein Bild erinnerte mich an mein Nachdenken, wenn ich allein hier im Zimmer gewesen war.
,,Ich hab andauernd gesagt die sollen ihn wieder auf die Geschlossene packen, aber nein, die Pfleger hier warten lieber darauf, dass er sich irgendwann die Pulsadern aufschneidet", seine Stimme klang wütend.
,,Wie kommt man an Klingen?", fragte ich nach einer Weile.
Ich mochte dieses Gespräch. Man sagte was man dachte, ohne drumherum zu reden.
Felix drehte den Kopf zu mir und grinste:,,Solltest du Rezo selbst fragen. Ich verrats dir nicht."
Ich verdrehte die Augen:,,Sagt er mir bestimmt nicht."
,,Dann frag dich mal wie man hier an Zigaretten kommt, Mexi", gab mir Felix einen Tipp, bevor er wieder an die Decke starrte.
Aber ich dachte nicht weiter über seine Worte nach und tat es ihm stattdessen gleich.
Diese weiße Decke faszinierte uns beide. War das traurig.
,,Die Stille hier ist schrecklich", sagte Felix nach einer Weile, ,,Auf der Geschlossenen schreit immer mal wieder wer rum. Aber hier ist es ja wie in nem Sarg."
,,Müsste dir doch gefallen", kommentierte ich.
,,Pff", Felix verschränkte seine Arme hinter dem Kopf, ,,Nichts hier gefällt mir."
Ich schloss die Augen. Sind wir ja schonmal zwei.
,,Du hast Glück, normal würde man dich nach nem Suizidversuch auf die Geschlossene stecken. Wie bist du hier gelandet?", fragte Felix.
Ich drehte mich auf die Seite. Ja, wie war ich hier gelandet? Gute Frage.
,,Keine Ahnung", gestand ich. Felix schwieg wieder, also tat ich es ihm gleich.
Meine Gedanken kreisten um den heutigen Tag, den Suizidversuch, mein Leben vor der Psychiatrie und um dieses Gespräch.
Die Müdigkeit streckte ihre Finger nach mir aus, aber ich wollte jetzt ungern schlafen.
Felix schien okay zu sein und doch fühlte ich mich unwohl nicht mehr allein im Zimmer zu sein. Er kam von der Geschlossenen. Klar Rezo auch, aber Felix wirkte mehr wie ein Psycho, als er.
Rezo versuchte zu verstecken was er fühlte, Felix nicht. So sehr ich seine direkte Art auch schätzte, so sehr machte sie mir klar, dass er anders war.
Sobald Rewi auch auf diese Station kommen würde, würden beide in ein anderes Zimmer ziehen. Dann war ich wieder allein. Der Gedanke machte mich irgendwie glücklich.
Wieder allein mit meinen Gedanken sein.
Ich gähnte und versuchte mich auf das Wachbleiben zu konzentrieren. Aber je länger ich es versuchte, um so mehr wurde mir klar, dass es sinnlos war es zu versuchen. Der Schlaf würde kommen.
Ich hörte ein leises Schnarchen von Felix Bett und mein Körper entspannte sich noch mehr.
Woher die Angst vor ihm kam konnte ich nicht sagen. Meine Gedanken glitten langsam in einen unruhigen Schlaf.
Geprägt von Bildern wie ich mir die Arme aufschnitt. Wie ich weinend in meinem Zimmer saß. Wie ich auf meinem Bett lag und verzweifelt versuchte meine Gedanken loszuwerden. Wie ich rauchend vor meinem Fenster stand. Wie ich zitternd am Boden lag.
Jedes Bild war klar und doch schienen diese Erinnerungen weit weit weg zu sein.

Psychiatrie - MexifyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt