Ich betrat den hellen Vorraum und sah mich neugierig um. Auf einem der hässlich grünen Stuhl saß eine Frau und tippte irgendwas in ihr Handy ein.
,,Du kannst dort vorne warten", Mark zeigte zu einem weiteren Stuhl und bog zur Rezeption zu meiner rechten ab. Ich griff meinen Koffer und zog ihn zu einem freien Stuhl. Dann ließ ich mich darauf nieder und atmete tief durch.
Alles in mir schrie danach zurück zur Station zu laufen. Aber ich konnte nicht. Ich konnte Rewi nicht in die Augen sehen und ihm sagen, dass ich jetzt gehen würde. Denn er würde nicht so reagieren wie Julien oder Felix.
Felix wusste was ich tun würde. Julien hatte es nicht erraten. Aber im Gegensatz zu Felix würde Rewi mir nicht dabei zusehen. Und so sehr ich sie alle mochte, ich konnte nicht weiter hier bleiben. Ich kann nicht für euch am Leben bleiben...
Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Als ich sie wieder öffnete, zuckte ich so heftig zusammen, dass ich schmerzhaft mit meinem Ellenbogen gegen die Stuhllehne stieß. Ich verzog das Gesicht und griff mir an den Arm.
Dann wandte ich den Blick wieder zur Rezeption und spürte wie sich mein Herzschlag beschleunigte. Ein großer blonder Junge stand neben einer Pflegerin, die gerade mit Mark redete.
In dem Moment drehte der Junge sich um und seine blauen Augen trafen auf meine. Luca. Nie hätte ich gedacht ihn je wiederzusehen.
Sofort packte mich die Wut. Die verdammte Wut darüber, dass er Schuld an Rezos Tod war. Daran, dass seine verdammten Klingen ihn umgebracht hatten. Ich wollte aufspringen, aber blieb sitzen.
Denn da war noch ein anderes Gefühl. Meine letzte Begegnung mit Luca schob sich wieder vor meine Gedanken und damit mein Versprechen, dass ich ihm gegeben hatte.
Ich krampfte meine Hand um die Armlehne des Stuhles und überlegte fieberhaft welchem Impuls ich folgen sollte. Doch Luca nahm mir die Entscheidung ab und kam mit langsamen Schritten auf mich zu. Überrascht beobachtete ich ihn dabei und versuchte seinen Blick zu deuten. Irgendwas an ihm schien anders zu sein. Waren es die überheblichen Augen die fehlten? Das Grinsen? Der Hochmut?
Luca ließ sich wortlos auf dem Stuhl zu meiner Linken nieder und schlug das eine Bein über das andere. Dann musterte er Mark, der ein Gespräch mit der Pflegerin begonnen hatte.
,,Ist es nicht ironisch, dass wir beide diesen Ort jetzt gemeinsam verlassen, Mexify?", fragte er schließlich, ohne mir einen Blick zuzuwerfen. Stattdessen legte er die Arme lässig auf den Armlehnen des Stuhles ab und musterte interessiert den Raum. Da war sie also doch noch, die überhebliche Stimme. Am liebsten hätte ich ihn dennoch angeschrien. Doch irgendetwas hielt mich zurück.
,,Wirst du etwa entlassen?", fragte ich spöttisch und vermied es nicht meinen Unmut über dieses Gespräch zu verbergen. Auf Lucas Gesicht stahl sich ein kurzes Lächeln, doch er schüttelte nur den Kopf.
,,Nein, sie bringen mich in eine Spezialklinik", erklärte er, ,,Irgendwo in Bayern." Ich schnaubte nur. Vermutlich war es besser so. Dann konnte er Rewi, Felix und Julien immerhin nicht mehr schaden.
,,Viel mehr interessiert mich, wieso sie dich entlassen?", immernoch warf er mir keinen Blick zu, sondern musterte einen der Aushänge am Ende des Raumes, dessen Schrift er mit Sicherheit aus der Entfernung nicht lesen konnte.
,,Was interessierts dich?", fragte ich teilnahmslos und warf ihm einen argwöhnischen Blick zu. Noch immer konnte ich Luca nicht einschätzen.
,,Woher die Feindseligkeit?", Luca drehte seinen Kopf zu mir und musterte mich neugierig. Ich verdrehte die Augen. War er echt so doof?
Doch bevor ich zu einer Antwort ansetzen konnte, kam er mir zuvor:,,Du gibst mir die Schuld für Rezos Tod, richtig?" Er ließ seinen Blick wieder durch den Raum schweifen und lachte leise.
,,Ist sein Tod wirklich so lustig?", fragte ich barsch und ballte meine Hände zur Faust. Wozu auch immer.
,,Nein", er schüttelte lachend den Kopf, ,,Oh nein, ganz und gar nicht."
Sein Lächeln verschwand und er seufzte:,,Aber ich bin nicht derjenige der Schuld an seinem Tod ist, mein Freund." Er griff in die Tasche seiner Jeansjacke und holte eine Schachtel Zigaretten hervor. Kurz warf er einen Blick durch den Raum, dann zog er zwei hervor und hielt sie mir entgegen. Ich würdigte sie keines Blickes. Was sollte das nun?
,,Rauchst du nicht mehr?", fragte er und musterte mich neugierig. Ich schwieg und versuchte meine Gedanken zu ordnen.
,,Rezo hätte sich so oder so das Leben genommen", Luca ließ nicht locker, ,,Früher oder später, ob hier oder draußen. Und das weißt du genauso gut wie ich." Er zog seine Hand zurück und musterte mich.
Nein, hätte er nicht. Immer wieder wiederholte ich die Worte in meinem Kopf und versuchte ihnen zu glauben. Aber es war unmöglich, denn Luca hatte Recht. Rezo hätte es wieder versucht. Ich spürte ein Ziehen in der Brust.
Er hatte gelogen. Zwei Versuche waren ihm nicht genug gewesen. Du bist ihm nicht genug gewesen...
,,Überrascht dich diese Erkenntnis wirklich?", fragte Luca ehrlich überrascht und musterte mich noch einen Moment. Nein, aber ich habe wirklich versucht daran zu glauben. Ich atmete tief durch und versuchte die aufkommende Panik zu kontrollieren, die plötzlich nach mir griff.
Immernoch spürte ich Lucas Blick auf mir. Einen kalten Blick, in dem dennoch eine Spur Wärme lag. Eine leichte Spur Mitleid. Wenn auch so gering, dass vermutlich niemand außer mir sie bemerkte.
,,Luca, kommst du bitte?", rief die Pflegerin in dem Moment. Luca nickte und erhob sich. Dann seufzte er und schüttelte den Kopf, bevor er zu mir trat und eine Hand auf meine Schulter legte. Am liebsten hätte ich sie weggeschlagen, doch ich kämpfte immernoch gegen die Panik in meinem Kopf.
,,Tut mir ehrlich Leid mit Rezo", flüsterte Luca, ,,Ich wusste ihr standet euch nahe. Aber keiner hätte den anderen retten können. Und Rezo hat das früher begriffen als du." Zum ersten mal hatte ich das Gefühl Ehrlichkeit aus seiner Stimme herauszuhören. Aus den ruhigen Worten, die dennoch so schmerzhaft wie eine seiner Klingen war.
Dann löste Luca den Griff und ließ die Schachtel Zigaretten in meinen Schoß fallen, bevor er sich umdrehte und zu seiner Pflegerin ging. Verständnislos musterte ich die Schachtel und griff danach. Was ein scheiß Abschiedgeschenk Luca...
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Psychiatrie - Mexify
Fanfiction,,Bevor ich an meinen Gedanken sterbe, beende ich es lieber selbst" Nach einem gescheiterten Suizidversuch wird der 17.jährige Mexify in die Psychiatrie eingewiesen. Man will seine Psyche in den Griff bekommen, aber für Mexify scheint es nur noch ei...