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Es hatte wieder angefangen zu regnen, während hinter den Wolken die Sonne über den Himmel wanderte.
Und ich saß wieder am Fenster. Sah wieder auf die graue Welt hinaus und beobachtete, wie der Regen das Grad ertränkte. Immer wieder lösten sich Tränen aus meinen Augen und rollten über meine Wangen.
Es kam mir vor als hätte ich diesen Tag schon unzähligen Male erlebt. Als wäre ich schon ewig in dieser Zeitschleife aus Regen, weinen und denken gefangen. Dabei waren es nichtmal vierundzwanzig Stunden.
Immer wieder betraten Pfleger das Zimmer um nach mir zu sehen. Doch ich ignorierte sie, nahm die Tabletten, die sie mir gaben und ließ sie gehen. Aber nichts half. Vom Weinen brannten meine Augen, vom Denken schmerzte mein Kopf und die Tabletten schienen alles nur noch schlimmer zu machen.
Frau Meier hatte unser Gespräch abgebrochen, nachdem ich die Konzentration dafür verloren hatte. Und vielleicht war das auch besser so. Gerade schien nichts einen Sinn zu haben.
Ich warf einen Blick auf die Telefonnummer, die auf meinem Bett lag.
Wollte ich wirklich mit Rezos Eltern telefonieren? Wollte ich wissen, was er außer mir zurückgelassen hatte? Wollte ich mehr über Rezo erfahren? Innerlich schüttelte ich den Kopf.
Er war Rezo gewesen, nicht mehr und nicht weniger. Was er mir anvertraut hatte, war alles, was ich hatte wissen müssen. Nur seinen Suizid hatte er mir nicht anvertraut...
Ich zwang mich zu einem traurigen Lächeln und lehnte den Kopf gegen die Scheibe. Es schien so verdammt unfair. Er war fort und ich immernoch hier. Musste mich mit weißen Wänden, Medikamenten, Gesprächen und Gedanken rumschlagen, während er das alles einfach hinter sich gelassen hatte.
Er hatte geschafft, was ich mich nicht getraut hatte: Sich hier das Leben zu nehmen und diejenigen zurückzulassen, denen er alles bedeutet hatte.
Habe ich es ihm nicht genug gezeigt, was er mir wert war?
Ich spürte wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete und mich ein unwohles Gefühl überkam.
Was, wenn er nie wirklich gewusst hatte, was er für mich gewesen ist? Was, wenn er dachte, dass es okay gewesen ist zu gehen?
Panik ergriff meinen Körper und mein Herz begann immer schneller zu schlagen. Sofort zwang ich mich tief einzuatmen und schloss meine Augen.
Eine Träne löste sich und tropfte auf Rezos Hoodie. Möglich langsam atmete ich wieder aus und wiederholte den Vorgang.
Ich brauche jetzt keine Panikattacke!
Ich öffnete die Augen wieder und griff mir an die Brust, in der mein Herz hämmert.
Du hast es ihm gezeigt. Er wusste, was er dir bedeutet. Du hast es ihm oft genug gesagt.
Aber sie Angst blieb.
Was,  wenn nicht? Was, wenn er darüber hinwegsehen konnte? Was, wenn ich nicht genug war?
Dieser Gedanke raubte mir kurz die Luft.
Doch sofort legte sich eine merkwürdige Akzeptanz über diesen Gedanken und machte einem neuen Platz: Ich könnte es ihm nicht verdenken.
Fast augenblicklich schien sich mein Herz zu beruhigen und mein Körper herunterzufahren. Die Erkenntnis schien mich wie einen Stein an der Schläfe getroffen zu haben.
Du warst ihm nie genug, Mexify. Sonst wäre er geblieben. Du wärst vielleicht für ihn geblieben, doch er nichz für dich.
Ich spürte wie sich Tränen in meinen Augen bildeten und meine Sicht verschwamm.
Ich war nie genug.
Ich schloss die Augen und die Tränen rollten über mein Gesicht.
Ich war wieder nicht gut genug.
Ich spürte wie ich zu zittern began.
Ich bin nie gut genug.
Ich hörte mich leise schluchzen und zog die Beine an den Körper.
Wäre ich anders, wäre er geblieben.
Ich umschlang die Beine mit meinen Armen und drückte den Kopf gegen meine Knie.
Wäre ich psychisch stabiler, wäre er geblieben.
Ich wollte, dass die Gedanken aufhörten auf mich einzustechen. Doch sie blieben.
Hätte ich ihn nicht in meine Probleme hineingezogen, wäre er geblieben.
Ich schluchzte wieder und spürte wie die Tränen meine Jeans durchnässten.
Hätte ich ihn nicht angelogen, wäre er geblieben.
Ich kniff die Augen zusammen, doch die Gedanken blieben.
Hätte ich mich nicht selbst verletzt, wäre er geblieben.
Dann hob ich den Kopf und starrte an die Wand vor mir.
,,Hätte mein Suizidversuch geklappt hätten wir uns nie kennengelernt...", flüsterte ich schwach und wischte mir die Tränen aus den Augen, ,,Dann wärst du vielleicht geblieben..." Ich konnte den Blick nicht von der Wand abwenden. Weitere Tränen liefen über mein Gesicht.
Ich bin das Problem. Allein ich. Wäre ich nicht zu dumm gewesen zu gehen, wäre Rezo vielleicht noch hier... Ich hatte ihn belastet, hatte ihn von seiner Gesundheit abgelenkt, hatte meine Probleme über seine gestellt, seine ignoriert und mir von ihm helfen lassen.
Ein kaputtes Glas kann nicht von Scherben repariert werden.
Ich schluckte schwer und starrte weiter an die Wand. Du hättest lieber deine Risse flicken, statt meine Scherben kleben sollen, Rezo. Vielleicht hätte das geklappt.
Ich stand auf, ging zwei Schritte zu meinem Bett und ließ mich darauffallen. Dort drehte ich mich auf die Seite und starrte an die weiße Wand neben dem Bett.
Wieso hat mein Suizidversuch nicht geklappt? Was hatte das für einen Sinn?
Immernoch liefen Tränen über mein Gesicht und tropften auf die weiße Bettdecke.
Und wieso hat deiner geklappt? Was hatte das für einen Sinn?
Ich schloss erneut die Augen. Es gab keinen Sinn. Wieso versuchte ich immernoch in allem einen zu finden? Das Leben war sinnlos. Es war schmerzhaft, von dunklen Gedanken durchzogen und machte sich selbst kaputt.
Wer einen Sinn suchte wurde mit der bitteren Wahrheit belehrt, dass es keinen gab. Und wer das nicht akzeptieren wollte, dem zeigte das Leben seine dunkle Seite so lange, bis man sich nicht mehr aus ihr herauswinden konnte.
Was hatte es dann noch für einen Sinn zu atmen?
Ich atmete tief durch.
Wozu versuchte ich noch zu leben, wenn es aussichtslos und sinnlos war?
Ich musste den Gedanken, dass es irgendwie, irgendwann besser werden würde, loslassen. Er war sinnlos. Rezo hatte ihn mit sich genommen, egal wo auch immer er nun war. Er war unerreichbar. Und das zu akzeptieren würde es leichter machen.
Ab jetzt hat nichts mehr einen Sinn...

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Was ist für euch der Sinn des Lebens?

Psychiatrie - MexifyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt