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Ich saß an meinem Schreibtisch. Vor mir auf dem Tisch lagen ein Blatt Papier und ein blauer Füller. Daneben mehrere zerknüllte Blätter. Meine Schreibtischlampe ließ lange Schatten über meine Handschrift wandern. Es war getan.
Ich seufzte, nahm das Papier vor mir in die Hand und las es mir noch einmal durch.
Eine hässliche Schrift.
Ein hässliches Ende.
Passte also.
Eigentlich hatte ich nicht vor einen Abschiedsbrief zu schreiben. Eigentlich wollte ich gehen, ohne einen letzten Text zu hinterlassen, der doch nicht erklärte, wieso ich ging. Es war einfach nur ein Stück Papier mit ein paar letzten Worten, damit ich in eine weitere Schublade gesteckt wurde.
,,Frau Henke, hat ihr Sohn einen Abschiedsbrief hinterlassen?"
,,Ja hat er."
,,Dann gehört er zu den 60 % die einen schreiben. Freuen sie sich wenigstens darüber."
Etwa so würde das Gespräch wohl laufen. Oder aber ich zerknüllte auch dieses Stück Papier und schloss mich der anderen 40 % an. Oder ich machte es wie dieses eine Mädchen, dass Kassetten vor ihrem Suizid aufnahm. Aber da niemand um mich trauern würde, würde sie wohl auch niemand hören.
Ich griff nach den Zettel, faltete ihn einmal in der Mitte und legte ihn erneut auf den Tisch. Einen Absender würde ich nicht brauchen. Also würde eine Seite weiß bleiben.
Ich schloss den Füller, legte ihn ans andere Ende des Schreibtisches und stand auf. Es war alles getan.
Mein letzter Akt meines wunderbar spannenden, naja wohl eher tragischen, Theatherstückes hatte begonnen.
Es war der Akt bei dem den Leuten ein Happy End oder ein tragisches Ende serviert wurde. Mein treues Publikum würde letzteres erhalten.
Ohne ein letztes Geigenspiel, ohne ein traurige Klavier würde der Akt beginnen und genauso klanglos enden.
Seht mir beim sterben zu. Verlasst den Saal und lebt euer Leben. Die Show ist vorbei. Keine Verbeugung. kein Applaus.
Ich seufzte. Manchmal hatte ich das Gefühl wirklich dieses Drama gespielt zu haben. Als hätte sie mir ein alter Schriftsteller mir die Rolle auf die Haut geschrieben. Und sobald der Vorhang sich geöffnet hatte, hatte ich sie perfekt gespielt.
Und nun würde ich den letzten Akt spielen, ein letztes mal die Bühne betreten und mit einem letzten Schauspiel die Bühne verlassen. Der Vorhang würde sich schließen und nie wieder aufgehen.
Das Stück war gescheitert.
Ich ging zu meinem Bett und setzte mich darauf. Ein Teil von mir zog mich hinaus in den Wald, zum Fluss oder einfach bloß in den Park vorm Haus. Vielleicht auch zu der Brücke, die ich zur Schule immer überquerte. Aber ich hatte genug Vorbereitungen getroffen. Es würde klappen.
,,Sind Sie bereit für den letzten Akt?"
,,Oh ja. Ich werde ihn besser spielen, als die letzten. Sie kennen mich doch."
,,Wahrlich. Sie sind perfekt für die Rolle."
Ich warf einen Blick auf die Schachteln neben mir auf dem Bett. Es waren sieben verschiedene. Vier Schlaftabletten, Schmerztabletten, Antidepressiva und noch eine Packungen, die mein Herz stoppen sollte.
Dafür, dass es für einen Suizid gedacht war, war es zu leicht gewesen daran zu kommen. Das Leben verlor noch mehr an Wert, je leichter man es mir machte zu gehen.
Von meiner Psychologin hatte ich die Schlaftabletten bekommen.
,,Schläfst du gut?"
,,Nein. Ich kann nicht schlafen."
,,Wir können dir Tabletten verschreiben. Die werden helfen."
Meine Eltern hatten sie aufbewahren und jeden Tag zwei an mich übergeben sollen. Aber sie hatten sie bloß in den Badezimmerschrank gestellt und gesagt:,,Du weißt die Menge ja."
Ja, die Menge die klappen würde, kannte ich.
Ich warf einen Blick auf meine Uhr. 23:44. Welcher Tag machte sich besser auf meinem Grabstein? Der heutige oder morgen?
Eigentlich war es egal. Ich brauchte keim Grab. Es wäre nur ein Erdhaufen, den niemand besuchen würde. Es würde ein Name draufstehen, den ich nicht mochte. Ein dummer Spruch von wegen ,,Mögest du deinen Frieden finden" oder so. Irgendwas kitschiges unpassendes.
,,When I die, dont cry, look at the sky and say good bye"
Es war einer der schönsten Sprüche die ich gehört hatte. Sie beschrieben das Ende eines tragischen, aber auch einsamen Lebens.
Diese Worte wären wohl der Schluss meines Theatherstückes. Ein Sprecher würde sie durch Lautsprecher vorlesen und dann den Vorhang schließen. Und das Publikum würde sich gensu daran erinnern. An diese tiefgründigen Zeilen, die an ein genauso tiefgründiges Leben erinnerten.
Mein Blick wanderte zu meinem Brief. Vielleicht sollte ich mir diese Worte auf meinen Grabstein wünschen. Platz genug war auf den Stück Papier.
Aber ich blieb sitzen. Nein, ich hatte keine Ansprüche mehr an mein Leben. Und auch nicht an das danach. Ich hatte beschlossen zu gehen. Geschmacklos, aber dennoch aus freien Stücken.
Manche Menschen schrieben viele Abschiedsbriefe. Ich hingegen hatte nur einen und der wsr so kurz, dass man ihn nach einmaligem lesen in den Papierkorb zu meinen snderen schmeißen würde.
,,Unser Sohn hat sich umgebracht. Wie schwach kann man eigentlich sein? Erst bezahlen wir ihm eine teure Therapie und Medikamente und damit nimmt er sich schließlich das Leben. Er ist schon immer undankbar gewesen."
Ich konnte die Worte meines Vater hören. Eine einzige Enttäuschung, das war ich für ihn. Schwach, mager, zerschnitten, depressiv, undankbar.
,,Er hat uns doch einen Brief hinterlassen."
Den Konter meiner Mutter hörte ich genauso. Er war wie ich, schwach und ohne Grund auf dieser Welt.
Ich stand auf und ging wieder zul Schreibtisch. Vielleicht sollte ich ihn wirklich wegschmeißen. Lieber schloss ich moch 40 % an, als den 60%. Sie konnten ihr Leben schließlich nicht noch lächerlicher machen.
,,Die hässliche Handschrift kann man ja nicht mal lesen."
Das hatte mein Vater oft gesagt und er würde es wohl wieder tun. Wieso ihn nicht doch zerreißen?
Aber ich öffnete ihn nur und las noch einmal über die wenigen Zeilen. Immerhin waren sie fehlerfrei. Anders als die ganzen Arbeiten, die meine Eltern unterschrieben hatten. Wenigstens darüber würden sie sich nicht aufregen.
Ich schloss den Zettel wieder und legte ihn zurück. Mein Entschluss stand fest. Ich gehörte zu den 60 %.

,,Ich halte es nicht mehr aus. Ich muss gehen. Danke für alles."

Und sogar die die letzten Worte meines Lebens waren gelogen. Ich hatte nichts, wofür ich dankbar sein konnte.

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