Ich musterte Felix. Er saß gegenüber von Rewi und zog gerade seinen weißen Turm auf eines der Felder auf dem Schachbrett vor sich. Rewi nickte anerkennend und begutachtete seine Möglichkeiten darauf zu reagieren.
Es fiel mir schwer Felix einzuordnen. Im Gegensatz zu den anderen von uns schien er sich mit seiner Situation sehr gut abgefunden zu haben. Vielleicht musste er das sogar, wenn er seit seiner Kindheit kein normales Leben geführt hatte. Oder aber er konnte gut verbergen wie schwer es ihm fiel damit zu leben.
Rewi griff nach seiner Dame und zog sie quer über das Spielfeld. Dabei schlug er einen Läufer und stellte ihn neben dem Brett ab. Felix beobachtete ihn zerknirscht und murmelte irgendwas. Julien, der zwischen den beiden saß, nickte anerkennend über Rewis Zug. Ich lehnte mich gegen die weiche Sofalehne.
Nach Felix Gespräch hatten wir Rewi und Julien im Gemeimschaftsraum gefunden. Während die drei am Tisch im Gemeinschaftsraum saßen und spielten, saß ich auf dem Sofa daneben. Nicht, weil ich nicht mitspielen wollte, ich musste nachdenken. Über Felix, das Therapiegespräch, alles.
Ich war nicht zu Felix durchgedrungen. Aber das war es nicht, was mich wunderte. Es war eher die Frage wie man sein Schicksal so gelassen und unschön akzeptieren konnte wie es war. So wie Felix es tat.
Dieser griff gerade nach einem Bauern und zog ihn vor. Dann lächelte er neckisch in Rewis Richtung. Dieser beugte sich vor und musterte dessen Zug.
Mein Blick fiel auf das Brett. Eigentlich war das Leben dem Spiel gar nicht so unähnlich. Man began indem man einen Zug tat. Einen Zug auf den der andere reagierte und so weiter. Es war ein ständiger Wechsel aus Spielzügen. Manche gut, manche schlecht.
Manche durchdacht, manche einer spontanen Eingebung folgend. Manche schlugen Figuren, manche opferten Figuren der eigenen Farbe. Aber egal was man auch tat am Ende gewann nur eine Farbe.
Nein, nicht immer.
Patt war eine Niederlage auf beiden Seiten. Oder aber ein Sieg.
Rewi griff nach seinem Springer und zog ihn vor. Felix nickte anerkennend und schlug diesen mit seiner Dame, woraufhin Rewi seufzte und angestrengter auf das Feld sah.
Vielleicht waren wir alle Spieler eines Schachbrettes. Spielend gegen die Figuren des Schicksals, das uns ohne Pausen über das Brett jagte, auf unsere Züge reagierte und am Ende doch nur mit uns spielte. Eine Partie, die nicht zu gewinnen war. Man war ohne Chancen in ein ungleiches Spiel gegangen ohne es zu ahnen.
Es reagierte nur, weil es nicht in einem Zug gewinnen konnte. Ließ einen spielen, damit man mit jedem Zug mehr und mehr bemerkte wie chancenlos man war. Wie sinnlos die Partie. Mit jeder geschlagenen Figur raubte es Hoffnung und ließ die Figuren der eigenen Farbe vom Brett verschwinden.
Nur kannte diese Partie kein Patt. Es war eine verlorene Partie. Unschlagbar. Unberechenbar. Und dennoch war ich sie eingegangen. Stand mit meinem König allein auf einem figurenlosen Brett und wartete auf den Fall. Wartete auf den vernichtenden Zug, der mich auf dem Brett aufschlagen ließ.
Rewi zog seinen König neben seinen Läufer und sah erwartungsvoll zu Felix. Dieser musterte die neue Stellung und zog selbstbewusst seine Dame neben Rewis Turm. Dieser biss sich genervt auf die Lippen. Jetzt standen seine Figuren deutlich schlechter als die von Felix.
Es wunderte mich wie sehr ich Schach mit meinem Leben vergleichen konnte, wo ich nicht oft in meinem Leben gespielt hatte. Vielleicht früher mal gegen meinen Vater. Aber das war lange her. Stammte aus dem Leben eines glücklichen Mexify, der die Figuren als Figuren und nicht seiner selbst als verlorenen Gegenspielers des Schicksals angesehen hatte.
Damals waren die kleinen Figuren bloß hölzerne Spielfiguren gewesen, die man über das karierte Brett geschoben hatte um zu gewinnen. Damals hatte es sogar ein Patt gegeben. Sogar ziemlich oft, weil mein Vater mich nicht verlieren hatte lassen wollen. Die Erinnerung versetzte mir einen Stich. In einem Spiel hat er mich nicht verlieren lassen, aber was mein Leben angeht, hat er es schon lange.
Ich versuchte die Erinnerungen abzuschütteln. Es war nur ein verdammtes Spiel. Nichts weiter.
Gerade zog Rewi seinen Turm, aber Felix schlug dafür einen Läufer. Wieder musste Rewi zerknirscht auf das Brett schauen. Felix hatte fast gewonnen. Es waren zwei Züge, die ihn vom Sieg trennten und so sehr wie er in sich hinein grinste wusste er das wohl auch. Auch Julien konnte sich ein schmunzeln nicht verkneifen.
,,Hey", Rezo betrat den Raum und sah sich kurz um, ,,Spielt ihr immernoch?"
,,Klar", Felix drehte sich nicht zu ihm um.
,,Und wer gewinnt?", Rezo ging zu mir und ließ sich neben mir auf dem Sofa nieder.
,,Mal schauen", Felix versuchte seine Euphorie zu verbergen, doch es gelang ihm nicht wirklich. Ich rückte ein Stück zur Seite um Rezo Platz zu machen. Rewi griff nach seiner Dame und schlug einen Bauern. Felix hingegen zog seinen Springer vor und sah erwartungsvoll zu Rewi. Eigentlich hatte dieser schon jetzt verloren.
Er war wie ich, wartete nur auf den vernichtenden letzten Zug. Aber anders als ich wusste er das noch nicht.
Stattdessen schlug er triumphierend Felix Turm und sah grinsend zu diesem. Felix schenkte ihm ein mitleidiges Lächeln und setzte Rewi mit seiner Dame matt. Er griff sich Rewis schwarzen König und stellte ihn neben das Brett.
,,Nein!", frustriert schlug Rewi auf den Tisch, sodass einige Figuren umfielen, ,,Man, ich hatte so einen guten Plan."
,,Tja, meiner war besser", Felix grinste.
,,Starkes Spiel", kommentierte Julien und musterte das Schachbrett.
,,Glückwunsch Felix", rief ich ihm zu.
,,Danke", Felix lächelte und sammelte die weißen Figuren zusammen um sie wieder in die Startaufstellung zu stellen, ,,Willst du auch mal Mexi?"
Rewi stand geschlagen auf und machte eine einladene Handbewegung zum Stuhl:,,Nur zu, vielleicht schlägst du Felix."
,,Oh ja, du hast ja noch nie gegen ihn gespielt", sagte Rezo.
Also erhob ich mich und ging zum freien Stuhl:,,Okay."
Spielen wir eine Partie gegen das Schicksal, dass man nicht schlagen kann, wie Rewis Partie soeben gezeigt hat. Eine verlorene Partie von der man annahm irgendwie eine Chance zu haben, damit die Enttäuschung einen noch härter traf. Spielen wir diese Partie.
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Psychiatrie - Mexify
Fanfiction,,Bevor ich an meinen Gedanken sterbe, beende ich es lieber selbst" Nach einem gescheiterten Suizidversuch wird der 17.jährige Mexify in die Psychiatrie eingewiesen. Man will seine Psyche in den Griff bekommen, aber für Mexify scheint es nur noch ei...