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Mein Vater schüttelte nur wortlos den Kopf und meine Mutter sah verzweifelt zu der Psychologin. Es hätte einfach klappen müssen...
Wieder kehrten die alten Gedanken an jenen Mittwoch zurück, als ich beschlossen hatte es zu tun.
Es war keine spontane Idee gewesen, eher der letzte Entschluss es jetzt wirklich durchzuziehen. Der letzte Funken, der das Feuer entfacht hatte.
Suizidgedanken hatte ich schon lange vorher gehabt. Anfangs waren es nur flüchtige Gedanken, die sich immer mehr zu einem festen Plan gefasst hatten.
Man denkt immer, man würde es nie tun, bis man genug Gründe hat es zu tun... Früher hatte ich Suizid nie verstanden. Das alles war außerhalb meiner Welt passiert. Menschen die Suizid begannen hatten waren Fremde, ihre Gedanken nicht nachvollziehbar.
Nur wer einmal so gefühlt hat, wird sie verstehen können.
Für mich waren Suizidgedanken Alltag geworden. Die Möglichkeit eines Auswegs, wenn es nicht mehr auszuhalten war zu leben. Eine Hintertür, die sich mir nur dadurch eröffnet hatte. Brutal, aber fair.
Meine Eltern gehörten zu den Menschen, die nie solche Gedanken gehabt hatten und sie würden sie auch nie verstehen können. Und darum beneidete ich sie fast.
In ihrem Leben war nie etwa so schief gelaufen, dass sie so denken mussten.
Sicher gab es viele Menschen, die einmal solche Gedanken hatten. Vielleicht sogar öfter, doch am Ende zogen es nur die wenigsten durch.
Aus Angst vor dem Tod, dem Scheitern, weil sie sich an etwas im Leben klammerten oder weil sie hofften. Ich hatte weder Angst vor dem Tod, noch klammerte ich mich an etwas. Und Hoffen tat ich seit Rezos Tod auch nicht mehr.
Hoffnung war zerstörerisch und war nur eine weitere Lüge des Lebens.
Hatte ich Angst erneut zu scheitern? Vielleicht. Vielleicht hatte ich das wirklich etwas. Angst davor erneut aufzuwachen und zu wissen, dass eine neue Psychiatrie kommen würde. Neue Leute, neue Therapien, weitere Tage die es zu überleben galt. Der nächste Versuch würde eindach klappen müssen...
,,Yannik war ein sehr enger Freund von ihrem Sohn", hob Frau Meier gekonnt ruhig an, ,,Enge Bezugspersonen können für Menschen wie Maximilian zu einem Ankerpunkt im Leben werden."
,,Ich habe auch schon Freude verloren", donnerte mein Vater und funkelte mich wütend an, ,,Soetwas passiert im Leben. Da kann man nicht gleich auf der Geschlossenen landen!"
Richtig... weil du weißt, wie sich das anfühlt, was ich fühle. Ich zwang mich den Satz zu ignorieren.
,,Was sollen wir denn jetzt machen?", fragte meine Mutter und sah wieder hilfesuchend zu Frau Meier. Diese blätterte in ihren Unterlagen und zog zwei Blätter hervor.
Sie legte sie vor sich auf dem Tisch ab und sah zu meinen Eltern:,,Wir können Maximilian weiterhin behandeln. Er kann weiterhin stationär hier bleiben und wir würden dann mit seiner Therpie fortfahren. Jedoch können wir zum jetzigen Zeitpunkt keine Eigengefährdung ausschließen und Maximilian hier zu behandeln birgt ein hohes Risiko."
,,Sie meinen, weil sich bereits ein anderer Junge umgebracht hat?", fragte meine Mutter nach und strich sich nervös durch die Haare. Plötzlich ist es also doch keine Aufmerksamkeit die ich suche? Aber ich behielt den Gedanken für mich.
Frau Meier zögerte kurz, dann nickte sie:,,Wir wollen einen zweiten Suizid in dieser Klinik um jeden Preis vermeiden."
,,Ich dachte eine Geschlossene ist sicher", brummte mein Vater beiläufig.
,,Wir sind bestes ausgestattet, aber wir können hier niemanden auf lange Zeit unter Dauerbeobachtung stellen. So machen wir keine Fortschritte in den Therapien", erklärte die Psychologin sachlich und tippte auf eines der Blätter, ,,Jedoch würde ich mich Maximilian als Psychologin in diesem Fall annehmen, wenn er weiterhin stationär behandelt wird."
Nein. Ich schüttelte innerlich den Kopf. Keine Therapien mehr. Keine sinnlosen Gespräche, keine sinnlosen Minuten mehr.
,,Maximilian bleibt nicht auf einer Geschlossenen", beatimmte mein Vater und sah herausfordernd zu Frau Meier, ,,Mein Sohn muss lernen, dass man im Leben zur Schule gehen und sich nicht vor schlechten Noten hinter irgendwelchen Hirngespinsten verstecken kann." Natürlich. Aber wieder schluckte ich meine Antwort herunter. Es brachte nichts.
Frau Meier nickte nur und griff nach dem anderen Blatt:,,Die andere Option wäre Maximilian in einer Tagesklinik zu behandeln. Wir haben eine Patnerklinik im Zentrum, die Maximilian aufnehmen würde. Er würde dort jeden Tag zur Schule gehen, Therapieangebote erhalten und könnte dort behandelt werden. Falls sein Zustand kritischer wird, kann er jederzeit zu uns zurückkommen oder dort stationär aufgenommen werden."
Meine Mutter nahm das Blatt entgegen welches die Psychologin ihr überreichte. Dann überflog sie es.
,,Er würde zuhause wohnen?", fragte sie.
Frau Meier nickte:,,Die Angebote beginnen um acht Uhr und gegen bis sieben Uhr Abends. Es besteht auch die Möglichkeit dort zu übernachten, falls es einen Notfall gibt. Maximilian erhält dort drei Mahlzeiten und in der Mittagspause kann er sich in der Stadt frei bewegen. Krisengespräche wären zu jeder Zeit möglich und der Austausch zu Ihnen würde meist über Telefon einmal die Woche laufen."
,,Wieso kann er nicht einfach wieder normal zur Schule?", fragte mein Vater, der das Papier ebenfalls las.
,,Maximilian ist immernoch krank und benötigt eine Therapie", erklärte Frau Meier geduldig, ,,Ansonsten droht ein Rückfall."
,,Und was kostet das?", fragte er weiter.
,,Die Kosten wären geringer als beim jetzigen Aufenthalt", erklärte meine Mutter und tippte auf eine der letzten Zeilen.
,,Ihr Sohn würde dort ähnliche Angebote und Therapien wie stationär erhalten. Wir würden dann zusätzlich eine Betreuerin für Maximilian anfordern, die seine Fortschritte besser beobachten kann und einmal die Woche bei ihnen zuhause vorbeikommen und Maximilians Entwicklung zusätzlich dokumentieren würde", fuhr Frau Meier fort, ,,Jedoch wäre es mir lieber Maximilian noch eine Weile stationär behandeln zu lassen um seine Eigengefährdung im besten Fall in den Griff zu bekommen." Sie warf mir einen entschuldigenden Blick zu, doch ich musterte nur meine Eltern.
Eine Tagesklinik. Nicht mehr stationär. Nach Hause zu können... zum ersten mal seit Rezos Tod fasste ich einen klaren Gedanken.
Ich hatte die Chance weg von hier zu kommen. Raus aus dieser verfickten Klinik.
Aber es war nicht die Tagesklinik die diesen Gedanken verursachte. Viel mehr war es die Möglichkeit, die sich dadurch eröffnen würde.
Ein weiterer Versuch... ein letzter Versuch...

Psychiatrie - MexifyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt