-24-

973 77 37
                                    

Ich wachte beim Klopfen der Pflegerin auf und schreckte sofort hoch. Mein Blick glitt zu Felix, der jedoch gerade erst verschlafen den Kopf hob.
Unsere Blicke trafen sich und er sah sofort weg.
,,Wir stehen auf", sagte er müde zur Pflegerin und Schritte verrieten, dass sie ging. Felix stand auf und ging zu seinem Schrank.
,,Tut mir Leid wegen gestern", brachte er dann hervor und zog sich schnell einen Hoodie über.
,,Ich muss mehr an mir arbeiten", fügte er dann hinzu und sah mich entschuldigend an.
Ich nickte einfach.
Ich sah mich nach dem Hoodie um den Rezo mir gegeben hatte und entdeckte ihn vor dem Tisch auf dem Boden.
Super Mexi, wie du wieder mit andere Leute Kleidung umgehst.
Ich stand auf und hob ihn auf. Dann zog ich ihn kurzentschlossen über. Waschen würde ich ihn sowieso müssen, dann konnte ich ihn gleich zur Sporttherapie auch anziehen.
Felix musterte mich, sagte aber nichts. Den Hoodie kannte er bestimmt, aber ich vermutete, dass er wegen des gestriegen Abends keinen Kommentar darüber abgab. 
,,Frühstück?", fragte er stattdessen vorsichtig.
,,Alles okay zwischen uns", versicherte ich und hielt ihm statt einer Antwort die Tür zum Flur auf.
,,Okay", sagte er zögerlich, als würde es mir das nicht glauben.
War ja auch gelogen, was war schon okay?
Wir betraten den Speiseraum. Julien und Rezo waren noch nicht da. Wir setzten uns an unseren Tisch und warteten. War schon ironisch. Saßen wir sinnlos am Esstisch ohne was zu essen.
,,Wie findest du die Sporttherapie?", fragte mich Felix um das Schweigen zu brechen.
,,Kenn ich noch nicht", antwortete ich.
Felix nickte:,,Stimmt."
Man sah ihm an, dass er sich gerade selbst dafür fertig machte, wie dumm die Frage gewesen war. Bei Felix fiel es mir sehr leicht zu erraten was er dachte.
Anders als bei Rezo oder Julien. Die versteckten ihre Gedanken und Gefühle sehr gut. War ich auch so leicht zu durchschauen?
,,Morgen ihr zwei", begrüßte uns Julien und stellte seinen vollen Teller auf den Tisch.
,,Schon gegessen?", fragte Rezo neben ihm und musterte Felix und mich streng, ,,Ihr müsst fit für die Sporttherapie sein."
Felix winkte ab:,,Bisschen laufen bekomm ich auch so hin." Julien schüttelte den Kopf.
,,Hast du in meinem Pulli geschlafen?", bemerkte Rezo und zog eine Augenbraue hoch. Ich schüttelte schnell den Kopf.
,,Ich dachte, ich könnte ihn zur Sporttherapie tragen, weil-", stotterte ich.
,,Schon okay, war nur ein Scherz", unterbrach mich Rezo. Felix und Julien lachten kurz. Aber Rezo sah mich entschuldigend an.
Ich zuckte zusammen. Solche Scherze verstand ich irgendwie nicht.
,,Im Hoodie wird aber nicht Sport gemacht", meinte Julien nach einigen Bissen, ,,Wir machen in T-Shirt Sport."
Ich sah ihn verständnislos an.
,,Ich dachte Narben zeigen wäre verboten", merkte ich an.
Rezo trank einen Schluck:,,Ja, schon. Steht zumindets an der Magnetwand mit den Regeln. Aber beim Sport bekommst du so hässliche weiße Netzstulpen. Dadurch sieht man das nicht und du schwitzt dich trotzdem nicht zu Tode."
Felix schnaufte.
,,Sinnlos", fügte er hinzu, ,,Als wüsste hier keiner wie vernarbte Schnitte aussehen." Rezo sah ihn mit einer Mischung aus Verständnis und Kritik an.
,,Ist doch so", Felix sah sich im Raum um, ,,Die Hälfte hat sich doch eh fast zu Tode geritzt."
Man merkte wie schwer ihm der Satz fiel, aber es schwang auch eine gewisse Kühle darin mit.
,,Musst es nicht so sagen", fand Julien.
,,Ritzen ist ein scheiß Wort", sagte Rezo ebenfalls. Felix zuckte mit den Schultern:,,Es zu verschönern, macht es auch nicht besser."
Ob die auf der Geschlossenen alle so dachten? Oder dachte man das nur wegen der Geschlossenen?
,,Gehen wir?", fragte Julien und stand auf. Wir nickten und folgten ihm zum Pflegerraum. ,,Ach das Spazierquartett", begrüßte uns Mark und sammelte sofort unsere Tabletten zusammen. Er reichte uns die Becher mit Tabletten und unsere Trinkflaschen.
,,Wir brauchen noch die Netzstulpen für Sport gleich", merkte Rezo an und schüttete seine Tabletten in den Mund. Dann spülte er sie hinunter und schüttelte sich kurz.
,,Ach ja", Mark drehte sich um und öffnete eine Schublade. Ich sah auf die Tabletten, dann zu Mark. Schnell schüttete ich sie leise in meine Hand und ließ sie in meine Hosentasche gleiten.
Dann tat ich so, als würde ich sie nehmen, trank einen Schluck und stellte Becher und Wasserflasche auf den Tisch. Mark drehte sich wieder um und schnitt gerade mehrere Stücke eines Stoffes ab.
,,Ihr alle?", fragte er und sah kurz auf.
,,Ja, alles Tiger", Rezo lächelte. Mark nickte kurz und schnitt dann weiter. Dann gab er jedem von uns zwei der Stoffstücke.
,,Wir gehen in einer halben Stunde von hier los", sagte er dann. Wir drehten uns um und gingen den Flur zurück.
,,Dann ziehen wir uns mal um", sagte Rezo mit ein wenig Freude in der Stimme.
,,Treffen in zehn Minuten bei uns am Zimmer", sagte Julien. Beide öffneten ihre Zimmertür und ich folgte Felix zu unserem Zimmer.
Er öffnete und ich folgte ihm.
,,Hässlich", kommentierte Felix und legte seine Stulpen auf den Tisch. Ich nickte nur.
Ich hatte keine Lust auf T-Shirts. Zum einen fühlte ich mich unwohl, zum anderen konnte ich mich nicht mehr unter meiner Kapuze verbergen.
Felix suchte sich bereits ein weißes T-Shirt heraus. Als er sein jetztiges auszog stach mir sein knochiger Oberkörper noch mehr entgegen und ich sah weg. Nach diesem Anblick blieb kein Zweifel mehr daran, dass er eine Essstörung hatte.
Ich wählte ein schwarzes T-Shirt und schmiss Rezos Hoodies diesmal aufs Bett. Das T-Shirt war mir etwas zu groß.
Felix war bereits dabei seine Stulpen über die Arme bis zu den Oberarmen zu ziehen. Ich tat es ihm gleich und zupfte sie dann unzufrieden zurecht.
Tatsächlich sah man die Narben durch die Netze nicht, aber sie waren wirklich hässlich.
Felix musterte mich mit genau dem Blick, den ich ihm zuwarf. Aber statt einem Kommentar drehte er sich um und ging schon zur Zimmertür. Ich zog meine Schuhe an und folgte ihm.
Rezo und Julien standen bereits auf dem Flur. Ebenfalls Stulpen an den Armen. Zu Juliens blauem T-Shirt passten die Stulpen sogar ein wenig, zu Rezos weißem T-Shirt da schon weniger.
,,Können wir?", fragte er.

------

Ich möchte mich hier einmal für das unfassbare Feedback zu dieser Story bedanken.
Es ist so krass wie viele hier dieses Buch lesen, so viele tolle Kommentare geschrieben werden und generell kann ich nur Danke dafür sagen.
Und einmal an jeden der mit etwas struggelt gerade: Sei dir gesagt sein, dass sich jeder Kampf lohnt. Und naja, dieses Buch muss ja auch von dir zuende gelesen werden, oder? ;)

Psychiatrie - MexifyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt