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Ich griff nach dem Teller mit den dampfenden Nudeln und folgte Felix zu unserem Tisch. Dort ließ ich mich nieder und musterte die Tomatensoßen.
,,Du solltest echt mal mehr essen", kommentierte Felix und nickte mir aufmunternd zu.
,,Sagt der Richtige", murmelte ich und bereute es sofort. Doch bevor ich mich entschuldigen konnte, lachte Felix. Etwas verwirrt versuchte ich seine Reaktion zu deuten.
Er griff nach seiner Gabel und zeigte damit auf mich:,,Ich habe eine Essstörung, du nicht. Die Ausrede greift nicht." Da war keine Reue, keine Traurigkeit, nur pure Wahrheit in seiner Stimme. Nachdenklich beobachtete ich wie Felix zwei Nudeln aufspießte.
,,Was?", fragte er grinsend und kaute darauf herum, ,,Ich habe keine Lust ein Drama aus meinem Leben zu machen. Es ist sind Fakten mit denen ich leben muss, wenn ich nicht wieder auf den Gleisen enden will." Wieder war da kein Funken von Traurigkeit in seiner Stimme.
Wie konnte er das alles so gelassen nehmen? Von Felix war ich extreme Ehrlichkeit gewohnt, doch anders als Rezo schien er sich bezüglich seiner Gefühle nicht zu belügen. Du glaubst gar nicht wie sehr ich dich darum beneide, Felix...
In dem Moment wurde ein Stuhl neben mir zurückgeschoben und Julien setzte sich.
,,Hey Mexi, wie war Therapie?", fragte er und sah dabei voller Vorfreude auf den Nudelberg vor sich.
,,Naja", versuchte ich das Thema zu umgehen. Ich hatte keine Lust weiter darauf einzugehen. Und Julien schien das zu verstehen. Dennoch musterte ich ihn einen Moment. Unser gestriges Gespräch kam mir wieder in den Kopf und ich schluckte. War Julien auch ehrlich gewesen?
,,Hey", Rezo ließ sich auf seinem Stuhl nieder.
,,Hi", begrüßte ihn Felix und auf seinem Gesicht bildete sich ein Grinsen, als Rewi an uns vorbei zu seinem Platz ging.
,,Rewi", er sah erwartungsvoll zu diesem, als er sich neben ihn setzte.
,,Hi Felix", Rewi erwiderte das lächeln, ,,Bevor du fragst: Therapie war scheiße."
,,Okay", Felix nickte, ,,Hätte mich sonst auch gewundert." Rewi gabelte mehrere Nudeln auf und schob sie sich in den Mund.
Dann kaute er genussvoll darauf herum und sah dann zu Rezo:,,Wie wars bei dir?"
Rezo zuckte kurz zusammen bei Rewis Worten, fing sich aber wieder schnell und lächelte:,,War okay." Etwas verwundert über Rezos Reaktion musterte ich den Blauhaarigen. Okay war sie mit Sicherheit nicht gewesen bei der Reaktion.
Auch Rewi runzelte die Stirn:,,Erzähl, Rezo."
Auch die anderen beiden sahen interessiert zu Rezo, welcher schließlich seufzte:,,Hab die nächsten Tage Familiengespräch. Hab ich einfach nicht so Lust drauf." Sofort musste ich an mein Familiengespräch denken und erschauderte. Kein Wunder, dass Rezo so reagierte.
Auch Rewi verzog das Gesicht:,,Tut mir echt Leid."
,,Naja, wird schon passen", Rezo versuchte ein zuversichtliches Lächeln.
,,Hast schon genug geschafft", versuchte Julien ihn aufzumuntern, ,,Schaffst das nächste auch." Rezo nickte. Aber wirklich überzeugt sah er dabei nicht aus.
Dann warf er mir einen kurzen Blick zu, den ich nicht deuten konnte. Und ich vermied seinen Augenkontakt auch sofort und sah stattdessen auf die Nudeln. Nicht weil ich Rezo nicht in die Augen sehen wollte, es fiel mir manchmal einfach schwer Augenkontakt zu halten. Besonders wenn es für mich keinen Sinn machte.
Dennoch versuchte ich Rezos Blick zu deuten. Aber ich fand keinen Bezug. Vielleicht denkt er auch an meine letzte Familientherapie? Aber als ich erneut zu Rezo sah, began dieser gerade seine Nudeln zu essen und sah nicht mehr zu mir.
,,Hab nächste Woche auch ein Gespräch mit meiner Betreuerin vom Jugendamt", lenkte Felix ein neues Thema ein, ,,Hab ich auch nicht so Bock drauf ehrlich gesagt." Etwas verwirrt musterte ich Felix. Erst wollte ich nachfragen, doch dann besann ich mich eines besseren. Fast hätte ich mich selbst geohrfeigt.
Felix hatte erzählt, dass seine Eltern der Grund waren, dass er seit seiner Kindheit in psychologischer Behandlung war. Dann hatte er natürlich keine normalen Familiengespräche. Und wieder beneide ich dich Felix...
,,Mit deiner komischen Frau Koffmann?", lachte Rewi und boxte Felix in die Seite, ,,Die, die immer mit diesem grässlich roten Mantel kommt? Sogar im Sommer hatte die den doch an, oder?"
Felix wurde ein wenig rot und nickte:,,Ja, die."
,,Ist dir das etwa peinlich?", neckte Julien.
,,Ne", wehrte Felix ab, ,,Aber jeder checkt mitlerweile das die zu mir gehört."
,,Felix Betreuerin kommt immer total geschminkt und mit so nem roten Mantel zu den Gesprächen", erklärte Rewi mir, ,,Die kennt jeder hier, auch wenn die nicht oft da ist."
,,Mir reichen die Gespräche auch so", seufzte Felix zerknirscht und verstellte seine Stimme, sodass sie hoch und schief klang, ,,Na Felix, wie gefällt es dir denn mitlerweile hier? Hast du neue Freunde gefunden? Man, die Fragen nerven. Ich kann die nicht mehr hören."
Rewi legte Felix beruhigend den Arm auf die Schulter:,,Sie sorgt sich halt um dich."
,,Pff", machte Felix und stand schließlich auf, ,,Hab da echt keine Lust jetzt drauf, sorry Leute." Dann verließ er den Speiseraum.
,,Ey warte doch Felix!", rief Julien ihm nach, doch Felix ignorierte ihn. Verwirrt beobachtete ich ihn dabei. Was war jetzt gewesen? Fragend sah ich in die Runde, aber Julien seufzte nur.
Rewi bemerkte meinen Blick und seufzte ebenfalls:,,Felix ist bei dem Thema manchmal bisschen schwierig."
,,Wegen seiner Eltern?", vermutete ich.
Rewi nickte:,,Er hat halt viel erlebt." Ich nickte nur. Das glaubte ich Rewi sogar.
,,Ich red später mit ihm", Rewi versuchte ein Lächeln.
,,Glaubst du denn, das bringt was?", fragte Julien, ,,Ich mein nichts gegen dich Rewi, aber er redet seit Jahren mit Psychologen drüber."
Rewi winkte genervt ab:,,Psychologen, pff. Die bringen doch alle eh nichts." Ungewollt nickte ich bei seinen Worten.
,,Vielleicht rede ich mal mit ihm", bot ich dann an, ohne wirklich zu wissen warum.
,,Du?", Rewi zog eine Augenbraue hoch.
,,Ich habs noch nie versucht", ich lächelte, ,,Und vergiss nicht: wir waren mehrere Tage Zimmerpatner."
,,Felix und ich Monate", hielt Rewi dagegen, doch dann nickte er nur, ,,Aber kannst es versuchen von mir aus."
,,Ja, wieso nicht", pflichtete Julien ihm bei und nickte mir zu.
,,Dann besser jetzt", ich stand auf und schob meinen Stuhl zurück.
,,Und deine Nudeln?", fragte Rewi.
,,Keinen Hunger", ich lächelte und folgte Felix. Wieso ich es angeboten hatte, konnte ich nichtmal sagen. Vielleicht interessierte es mich einfach zu sehr, mehr von Felixs Leben zu erfahren? Oder wollte ich einfach nur weg, um nichts essen zu müssen?

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