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Ich zögerte nur einen Moment, dann stand ich auf und wollte an Rezo vorbei. Doch dieser drückte mich zurück auf die Bank.
Seine kalten Augen schienen mich zu durchbohren und er musterte mich.
,,Wieso hast du gelogen?", wiederholte er seine Frage, diesmal mit deutlich mehr Nachdruck in der Stimme.
,,Ich hab nicht gelogen", log ich und biss mir auf die Lippen. Im Lügen war ich wirklich mieserabel.
Rezo zog eine Augenbraue hoch:,,Und wieso sagst du dann, dass du Therapie hast und gehst dir stattdessen Medikamente holen? Du hast gelogen."
Ich schwieg und sah hielfesuchend zu Julien, aber dieser stand einen Meter hinter Rezo und musterte mich genauso interessiert.
In meinem Kopf liefen die Gedanken Amok. Natürlich hatte ich gelogen, ich hatte beide angelogen. Und ich konnte es ihnen nicht verdenken wütend zu sein. Sie waren seit meiner Ankunft immer nett zu mir gewesen, viel netter als die meisten Menschen die ich kannte.
Aber sie waren auch nur zwei Psychos in einer Psychiatrie. Und zumindest bei Rezo war ich mir sicher, dass er Julien und mich mehr anlog als ich ihn.
,,Mir gings einfach nicht gut", seufzte ich. Und es war sogar nicht gelogen gewesen.
,,Und dann lügst du uns an?", fragte Julien diesmal. Seine Stimme war fest, aber den enttäuschten Unterton verriet sie trotzdem.
Ich nickte und schwieg.
Rezo musterte mich weiter, aber ich wich seinem Blick aus. Glaubte er mir das wenigstens?
,,Okay", sagte er nach einer Weile. Er trat einen Schritt zurück.
,,Aber du kannst mit uns reden, statt Medis zu nehmen. Die helfen eh nicht, oder?", er lächelte kurz. Nur ganz kurz, aber es lockerte die Stimmung um ein ganzes Stück.
Ich nickte wieder:,,Tut mir Leid."
Julien kam auf mich zu und zog mich hoch. Dann umarmte er mich.
,,Hey, Mexi. Wir sind jetzt ein Team, klar?", sagte er und ich legte meinen Kopf auf seine Schulter. Irgendwie tat die Umarmung gut.
,,Klar", flüsterte ich mit belegter Stimme.
Vielleicht stimmte es. Vielleicht waren wir ein Team. Aber wie lange? Eine Woche? Zwei? Bis einer eine Klinge in die Finger bekam und beschloss es zu beenden?
Julien löste die Umarmung und Rezo umarmte mich ebenfalls kurz.
,,Mach keinen scheiß", flüsterte er mir ins Ohr bevor er zutück trat.
Seine Augen trafen wieder auf meine. Sie strahlten wieder etwas mehr, aber eine Spur Misstrauen blieb.
,,Gehen wir rein?", fragte Julien und zog die Ärmel seines Hoodies über seine Hände, ,,Es wird kalt."
,,Die Sonne geht ja auch gleich unter", bemerkte Rezo und nickte.
Ich folgte beiden zur Tür, die Treppe hoch und wieder auf Station 3.
Gemeinsam betraten wir den Flur und Rezo meldete sich kurz bei der Pflegerin, bevor wieder in Richtung unserer Zimmer gingen.
,,Zu dir?", schlug Rezo vor und ich nickte einfach.
Dann öffnete er auch schon die Tür zu meinem Zimmer und wir traten ein. Felix, der auf seinem Bett lag, streckte hoch und sah uns drei einen Augenblick verwirrt an, bevor ein seufzend zurück aufs Bett sank.
,,Was ist denn mit dir los?", fragte Julien ebenso verwirrt.
Felix fuhr sich durch das Gesicht:,,Hab gepennt."
Rezo lachte:,,Schlafmütze."
,,Ey, schlaf du mal mit einem schnarchenden Mexify in einem Zimmer", beschwerte sich Felix.
,,Ich schnarche nicht", stellte ich klar und setzte mich auf mein Bett.
,,Doch", lachte Felix.
Es schien ihm gerade viel besser als vorhin zu gehen. Aber ich wurde einfach nicht schlau aus ihm. Mal war er super drauf und einen Moment später total mies.
Rezo setzte sich neben mich auf mein Bett und Julien ließ sich neben Felix nieder.
,,Was wollt ihr eigentlich hier?", fragte Felix.
,,Keine Ahnung, Zeit totschlagen", antwortete Rezo und zuckte mit den Schultern.
,,Zeig mal bitte deine Haare, Mexify", Julien sah zu mir.
Ich sah ihn verstöndnislos an.
,,Ja, du läufst immer mit Kapuze rum", stimmte ihn Rezo zu.
Ich zuckte mit den Schultern:,,Ist mir lieber."
,,Ach bitte", bettelte Julien weiter und sah mich fast flehend an.
Kurz überlegte ich, bevor ich mir die Kapuze vom Kopf strich und ungeschickt durch meine Haare fuhr.
,,Tadaa", sagte ich. Mir war unwohl, während mich die drei anstarrten.
,,Du hast echt schöne Haare", Rezo strich mir eine Strähne aus dem Gesicht.
,,Mattbraun. Was ist daran schön?", fragte ich etwas patzig.
Meine Haare waren gewöhnlich braun. Ohne Glanz oder eine andere Besonderheit.
,,Du hast blaue Haare und Julien schwarze. Sogar Felix hat einen Rotstich im Haar", fuhr ich fort.
Rezo winkte ab:,,Ohne die Farbe wären meine auch braun, wie deine."
Aber du hast sie dir gefärbt, weil die dir nicht gefallen...
Aber ich schwieg und zog stattdessen meine Kapuze wieder über meine Haare.
,,Ich mag deine Haare", murmelte auch Julien und ließ sich dann rückwärts aufs Bett zurückfallen.
Sofort warf sich Felix auf ihn.
,,Speckbraten", kommentierte Julien lachend und stieß Felix ohne Mühe von sich.
Dann rollte er sich rum und war über Felix.
,,Selber", Felix grinste und tat als würde er verzweifelt nach Luft ringen.
,,Du klingst wie ein Walross", lachte Julien und Rezo lachte ebenfalls.
Ich beobachtete die beiden, wie sie ein wenig miteinander rangen.
,,Ey", ohne das ich reagieren konnte warf Rezo sich auf mich und ich lag wie eine Schildkröte auf dem Rücken, ,,Lach doch auch mal."
Felix setzte sich auf meinen Bauch und grinste zu mir runter.
,,Bist du schwer", kommentierte ich, aber zum ersten mal seit Ewigkeiten musste ich schmunzeln.
,,Da", Rezo schrie fast, ,,die Trauerweide wird zur Eiche."
,,Zur Eiche?", fragte ich verwirrt und stemmte mich gegen Rezo, aber er war einfach zu schwer. Oder ich zu schwach.
,,Findest du nicht, dass Eichen glücklich aussehen?", Rezo grinste. Kurz sahen wir uns an, bevor ich nicht mehr konnte und lachen musste.
Es war das erste mal seit Wochen, vermutlich Monaten, dass ich wirklich lachte. Und es schien als würde dieser kurze Moment alles an Gedanken und Negativität vertreiben. Als hätte man sie einfach ausgesperrt.
Und das tat gut. Sehr gut. Ich hatte dieses Gefühl so lange nicht gehabt, dass ich fast vergessen hatte, dass es dieses Gefühl gab.

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Sry, dass länger nichts kam.
Aber ich wünsche euch allen eine frohe Weihnachten :)

Psychiatrie - MexifyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt