Ich hatte mir noch nie so sehr im Leben gewünscht die Tür einfach zuschlagen zu können. Aber sie viel wie in Zeitlupe hinter mir zu. Dummer Mechanismus.
Ich ließ mich auf mein Bett fallen und setzte mich ans Kopfende. Dann zog ich mir die Kapuze vom Kopf und strich mir durch die braunen Haare. Mattbraun.
Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Wie lange ich so dasaß und einfach meinem Atem lauschte, wusste ich nicht. Aber es hatte eine gewisse Ruhe.
Es war einsam, ja, aber gleichzeitig schien einmal alles still. Fühlte sich so Frieden an? Fühlte sich so der Tod an?Im selben Moment klopfte es an meine Tür und ich zog mir die Kapuze meines Hoodies wieder über den Kopf.
Rezo betrat mein Zimmer und sah mich fragend an:,,Wie wars bei Frau Ohle?"
Ich zuckte mit den Schultern. Auch wenn er sehr nett war, die Ruhe war verschwunden.
Doch statt auf eine Antwort zu warten, hielt er mir seine Hand hin:,,Los, wir zeigen dir mal die Station."
Auch wenn ich nur allzu gern hier geblieben wäre und wieder versucht hätte zur Ruhe zurückzukehren, ließ ich mich hochziehen.
Kurz wurde mir schwindelig und ich stützte mich an der Wand ab.
,,Alles okay?", Rezo stützte mich. Ich blinzelte kurz, dann nickte ich.
Julien wartete vor der Tür:,,Siehst ja noch schlimmer aus als sonst." Ich nickte wieder, dann folgte ich Julien.Zuerst gingen wir zum Eingang der Station, den ich mitlerweile kannte.
,,Also hier ist der Eingang", began Julien und zeigte dann auf das Zimmer, in dem ich heute morgen meine Medikamente bekommen hatte, ,,Das ist das Zimmer der Pfleger. Dort bekommt man auch Medikamente und sowas. Wenn was ist kannst du dort jederzeit hin und es wird sich um dich gekümmert." Ich hob kurz den Kopf und warf einen flüchtigen Blick auf einen Pfleger der gerade etwas an einem Rechner eintippte.
Dann folgte ich ihnen den Flur weiter. Den Therapieräumen, von denen ich einen bereits kannte, den Zimmern der Patienten, dem Essraum und schließlich in einen größeren Raum mit einem Tisch in der Mitte. Zwei Sitzbänke standen darum und einige Stühle.
,,Hier haben wir einmal in der Woche Gruppentherapie", erklärte mir Rezo, ,,Ansonsten können wir das als Gemeinschaftsraum nutzen."
,,Eigentlich ist hier aber nie jemand", fügte Julien hinzu und setzte sich auf einen der Stühle.
Ich nickte zu einem der zwei Türen die von dem Raum abzweigten:,,Was ist dahinter?"
Langsam ließ ich mich auf eine der Bänke nieder und Rezo setze sich ebenfalls auf einen Stuhl.
,,Also der Rechte ist fürs Wiegen und sowas. Das ist alle zwei Wochen", antwortete Julien, ,,Der Linke ist eine Art Entspannungsraum. Aber der wird eigentlich nie genutzt."
Ich nickte und sah auf die hölzerne Tischplatte.
,,Unter uns im Stockwerk sind die andere Therapieangebote. Musikräume, Bastelräume und sowas halt", Rezo lehnte sich zurück.
,,Es gibt sogar eine Sporthalle", Julien klang zum ersten mal wirklich begeistert, ,,Da gehen wir als Station manchmal hin und machen Spiele und so."
Rezo nickte:,,Ist das eigentliche Highlight hier." Ich stellte mir kurz vor, wie ein bunter Haufen psychisch kranker Jugendlicher einem Ball hinterher rannte. Traurig, wenn das das Highlight der ganzen Station war. Und ich war mittendrin...,,Am Wochenende ist übrigens jeden Morgen ein Spaziergang mit der Station, wenn man Ausgang hat", sagte Julien. Ich hob den Kopf und sah ihn an.
,,Wie bekomme ich Ausgang?", fragte ich.
Rezo schüttelte den Kopf:,,Du bekommst sicher erstmal keinen. Ich meine die von Station 4 bekommen eigentlich immer direkt Ausgang, aber bei 3 ist das etwas schwieriger. Und nach dem was mit Felix vor ein paar Wochen passiert ist, sind die hier besonders streng."
Er überlegte kurz, bevor er hinzufügte:,,Und da du nunmal als Notfall hier bist, wird das bei dir auch sehr lange dauern. Je nachdem wieso du hier bist."
Ich sah wieder auf den Tisch.
Weil ich mich umbringen wollte.
Am liebsten hätte ich es laut ausgesprochen, aber irgendwie schien es nicht der richtige Zeitpunkt zu sein. Rezo und Julien hatten mir ihren Grund ja auch mehr oder weniger verschwiegen. Waren sie auch deswegen hier?
Die Frage stellte ich mir zum ersten mal wirklich. Sie wirkten beide nicht wirklich unglücklich, aber vielleicht lag es auch einfach daran, das sie gut verstecken konnten, was sie fühlten. Ich hatte das auch gekonnt. Aber seit ich hier war, sah ich keinen Grund mehr darin zu verstecken wie ich mich fühlte.
,,Habt ihr Ausgang?", fragte ich.
Aber Rezo wiegte den Kopf hin und her:,,Nicht wirklich. Wir dürfen zu den Spaziergängen mit, aber sonst nicht."
,,Und zu den Ausflügen dürfen wir. Aber die sind auch mit der ganzen Station. Einmal im Monat fahren wir dann irgendwo hin. Zoo und sowas. Ist ganz okay", meinte Julien.
,,Zu den Spaziergängen darfst du veilleicht ja auch bald schon mit", fügte er hinzu.
Ich stützte meinen Kopf auf die Hände und seufzte. Dieser Ort war zum Kotzen.,,Gehen wir zum Abendessen", sagte Rezo schließlich in die Stille und stand auf.
Wir folgten ihm in den Essraum. Es gab Brot mit Aufstrich. Ich schmiss mir lustlos ein Toast und eine Scheibe Salami auf den Teller und folgte den anderen beiden zum Tisch.
,,Kommst du morgen wieder mit zum Pavillon? Vielleicht lernst du dann auch Rewi und Felix kennen", began Rezo ein Gespräch. Aber wirklich Hoffnung lag nicht in seiner Stimme.
,,Vielleicht", antwortete ich. Auch wenn ich nichts besseres zu tun hatte, wirklich Lust hatte ich nicht.
,,Du solltest mehr reden", warf Julien ein und Rezo stimmte ihm mit vollem Mund zu.
,,Ich rede nicht gerne", murmelte ich. Naja, eigentlich redete ich ja gerade.
,,Wieso denn nicht?", Rezo musterte mich irritiert, ,,Die werden dich ne Weile hierbehalten, das haben wir dir schon gesagt. Egal was du tust oder versuchst, die lassen dich hier erstmal nicht weg. Man muss sich damit anfreunden."
Ich zuckte zusammen. Ich will mich damit aber nicht anfreunden! Und ich will auch nicht reden! Ich will garnicht hier sein!
,,Mal schaun", brachte ich mühsam heraus.
,,Wird alles besser, Mexify", Julien stand auf und strich mir kurz über den Kopf. Auch Rezo warf mir einen aufmunternden Blick zu, bevor sie den Essraum mit einem "Bis morgen" verließen.
Wird es nicht.
Immerhin schienen sie verstanden zu haben, das ich gerade allein sein wollte. Ich sah auf das halbe Toast, das noch vor mir lag.
Noch vor ein paar Tagen war ich zuhause gewesen. In der Schule, hatte gelernt. Und dann war alles furchtbar schief gegangen. So schief, das ich jetzt hier war. Dort wo ich nie sein wollte.
Ich erinnerte mich an ein Zitat aus dem Deutschunterricht.
"Und als ich glaubte die Welt sei zusammengebrochen, brach sie wirklich"
Wieso es mir gerade jetzt einfiel, wusste ich nicht. Ich hatte das Zitat nie so ganz verstanden, aber es schien sehr gut zu meiner Situation zu passen.
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Psychiatrie - Mexify
Fanfiction,,Bevor ich an meinen Gedanken sterbe, beende ich es lieber selbst" Nach einem gescheiterten Suizidversuch wird der 17.jährige Mexify in die Psychiatrie eingewiesen. Man will seine Psyche in den Griff bekommen, aber für Mexify scheint es nur noch ei...