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Ich schlug die Augen zu und zuckte zusammen. Für einen Moment hatte ich das Gefühl zum ersten mal in der Welt aufzuwachen, aber mit jeder Sekunde puzzelte mein Gehirn die Zusammenhänge zusammen.
,,Morgen", grinste Rezo und sah von einem Buch auf. Er saß auf einem der Stühle am Festern und musterte mich.
Ich setzte mich auf und rieb mir die Augen. Am liebsten wäre ich wieder eingeschlafen, aber Rezo in meinem Zimmer sitzen zu sehen hatte mir einen kurzen Schreckmoment beschert, sodass Einschlafen jetzt vermutlich unmöglich war. Mein Kopf schmerzte immernoch und pochte unangenehm.
,,Wie lange habe ich geschlafen?", fragte ich und schloss für einen Moment die Augen. Ich fühlte mich wie erschlagen und meine Augen brannten.
,,Eine gute Stunde", Rezo legte das Buch zur Seite und stand auf, ,,Wenn du weiterschlafen willst, sage ich den Pflegern Bescheid." Aber sofort schüttelte ich den Kopf, was nur noch mehr schmerzte.
,,Wo ist Julien eigentlich?", fragte ich. Irgendwie war mir gar nicht aufgefallen, dass er weg war.
,,Der ist schon lange gegangen", Rezo legte den Kopf zur Seite und musterte mich mit einer Spur Sorge, ,,Hast du das nicht mirbekommen?"
Ich schüttelte vorsichtig den Kopf. Hatte ich nicht. Aber die ganze Szenerie von vorhin schien mir gerade unwirklich.
Sterben. Es war der erste Gedanke gewesen, als ich meine Augen geöffnet hatte. Auch wenn ich mich dazu entschieden hatte dem Leben eine weitere sinnlose Chance zu geben, ließ mich der Gedanke einfach nicht los. Und diese Chance galt nicht dem Leben selbst, sie galt Rezo, Julien, Rewi und Felix. Für sie wollte ich es versuchen.
,,Wir haben gleich Gruppentherapie, aber ich glaube du solltest lieber weiterschlafen", Rezo lächelte entschuldigend.
,,Nein, geht schon", murmelte ich, obwohl ich genau das Gegenteil fühlte. Ich hatte Kopfschmerzen und mein Körper schrie mich nach Ruhe an. Das ich schlecht schlief war nichts neues, aber so müde wie die letzten Tage hatte ich mich noch nie gefühlt. Es war als würde mein Körper nach und nach aufgeben, weil mein Kopf es nicht schaffte. Und jetzt schaffte es mein Herz auch nicht, weil es für jemand anderen weiterschlagen wolte. Dummes Herz. Dummer Kopf.
,,Sicher?", fragte Rezo nach. Ich nickte, aber auch das schmerzte.
,,Reden wir später über die Therapie?", fragte Rezo vorsichtig und streckte mir seine Hand entgegen. Dankbar griff ich danach und zog mich hoch. Meine Beine zitterten nicht mehr so stark wie vorhin, aber ich war mir immer noch unsicher ob sie mein Gewicht halten würden.
,,Können wir denke ich", ich nickte langsam. Eigentlich wollte ich mich nicht daran erinnern, aber ich war ja hier, damit es mir besser ging. Und wenn man den dummen Psychologen glauben wollte, war Reden die beste Methode um mit etwas klarzukommen. Aber meiner Meinung nach war es sinnlos über seine Probleme zu reden. Am Ende hörte eh keiner zu.
,,Cool", Rezo ging zur Tür und öffnete diese. Dann sah er wieder zu mir:,,Du solltest dir das Gesicht waschen." Er lächelte milde.
Auch wenn ich mein Gesicht nicht sah, wusste ich, dass er vermutlich die roten Schlieren meinte, die meine Tränen hinterlassen hatten. Und die geschwollenen Augen.
Ja, mein verheultes Gesicht kannte ich zu gut. Wie oft ich es wohl schon im Spiegel gesehen hatte?
Ich folgte Rezo auf den Flur und versuchte mich noch mehr als sonst unter meiner Kapuze zu verstecken als sonst, besonders als ein Junge an uns vorbeilief, dessen Namen ich mir nicht gemerkt hatte. Vor dem Bad blieb Rezo stehen und öffnete mir die Tür.
,,Kann ich selbst", brummte ich und griff nach der Klinke.
,,Ich weiß", entgegnete Rezo nur und wich zurück, damit ich das Bad betreten konnte.
Erst als ich die Tür schloss, ließ ich die Schultern wieder sinken. So furchtbar wie gerade hatte ich mich lange nicht gefühlt. Müde, kraftlos, leblos. Das einzige, dass mich vom tot sein unterschied, war das Schlagen meines Herzens.
Vorsichtig schob ich den Ärmel meines Hoodies nach oben und betrachetete die Wunden. Die tiefste von ihnen war wieder aufgeplatzt und eine getrocktnete Blutlinie zog sich bis zum Ellenbogen.
Ich fuhr mit meinen Fingern über das getrocknete Blut und übte leicht Druck aus. Sofort brannte es darunter und ich zog meine Hand zurück.
Ich war wirklich weich geworden. Dei Wunde war nichtmal besonders tief, aber der Schmerz schien schlimmer als bei den meisten zu sein. Eigentlich ein gutes Zeichen, aber unkontrollierten Schmerz konnte ich gerade nicht gebrauchen.
Ich warf einen Blick zur Tür. Rezo brauchte sie nur zu öffnen und würde mein Werk betrachten können. Der Gedanke ließ mich erschaudern und ich zog schloss den Stoff meines Hoodies wieder über meinen Arm. Abwaschen konnte ich das Blut immernoch und so würde sie vielleicht nicht so schnell wieder aufreißen.
Ich stellte den Wasserhahn an und klatschte mir eine Ladung Wasser ins Gesicht. Auch wenn es wenig gegen mein hässliches Gesicht im Spiegel tat, vertrieb es immerhin etwas die Müdigkeit. Aber wer wusste schon wie lange.
Ich warf einen letzten Blick in den Spiegel und strich mir eine Strähne aus der Stirn. Das machte es nicht wirklich besser, aber etwas anderes erwartete ich schon gar nicht mehr.
Wie konnten Menschen sich mehrere Minuten im Spiegel betrachten? Egal wie lange ich hineinsah, niemals würde ich etwas schönes an mir entdecken können. Ich war ein hässlicher Junge mit verheulten Augen, mehr nicht.
Wieso wollte Rezo, dass dieser Junge blieb? Wieso opferte er seine Zeit für diesen Jungen, der ihn verletzt hatte? Ich würde ihn nie verstehen.
,,Kommst du?", fragte Rezo in dem Moment hinter der Tür und unterbrach meine Gedanken. Sofort wandte ich den Blick von dem hässlichen Jungen im Spiegel ab und öffnete die Tür. Aber der Junge folgte mir aus dem Bad in den Flur.
,,Besser", kommentierte Rezo und lächelte wieder. Lügner. Aber ich schwieg und nickte nur matt.
Schweigend folgte ich ihm in Richtung des Gemeinschaftsraumes.
Wenn du wüsstest, was ich dir verschweige, würdest du mich direkt gehen lassen. Ich musterte ihn. Du würdest mich hassen. Vielleicht sollte ich es ihm sagen. Aber nicht, damit es besser wurde, sondern damit er mich endlich gehen ließ.

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Hey, das nächste Kapitel wird leider nicht vor Montag kommen. Nur zur Info.

Psychiatrie - MexifyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt