Zögernd betrat ich den Speiseraum und suchte mit den Augen die Anderen. Doch unser Tisch war leer.
,,Wo ist der Rest?", ich folgte Rezo, der bereits zur Essensusgabe ging.
Er drehte sich schulterzuckrnd zu mir um:,,Die kommen bestimmt gleich." Dann musterte er die heutige Auswahl. Neben Brot und Salat gab es kalte Schnitzel. Rezo gabelte eines auf und drückte mir den Teller in die Hand.
,,Ey", ich verzog das Gesicht, ,,Ich wollte keins."
,,Du musst essen", schmunzelte Rezo nur und ging zur Salatbar.
,,Ich esse genug", murmelte ich wenig überzeugt. Das das gelogen war, war mir auch klar. Aber gerade hatte ich wirklich keinen Hunger. Immernoch hatte ich das Gefühl gleich wieder in Tränen auszubrechen.
Mit dem Teller in der Hand ging ich an Rezo vorbei zu unserem Tisch und ließ mich seufzend auf meinen Stuhl fallen. Dann atmete ich tief durch und versuchte die Ereignisse des Tages abzuschütteln. Aber es gelang mir nicht.
,,Woran denkst du?", ich zuckte zusammen, als Rezo sich auf Juliens Stuhl neben mir niederließ.
Verwirrt sah ich zu ihm:,,Was?"
,,Woran du denkst?", wiederholte er und griff nach der Scheibe Brot, die auf seinem Teller lag. Ich biss mir auf die Lippen. Wenn ich das nur beschreiben könnte.
,,War kein guter Tag", versuchte ich es dennoch.
,,Gibt gute und schlechte Tage", Rezo lächelte. Bei mir gibts irgendwie nur Schlechte. Dennoch erwiderte ich das Lächeln. Ihm zuliebe.
,,Du wirst den anderen das auch erklären müssen", Rezo began das Brot in kleine Stücke zu reißen und über seinem Salat zu verteilen, ,,Mir bist du keine Erklärung schuldig, aber ich denke ihnen schon."
,,Wieso dir nicht?", fragte ich nach und schnitt einen Teil des Schnitzels ab.
,,Ich bin nicht besser", Rezo zuckte mit den Schultern und vermischte das Brot mit dem Salat. Doch bist du. Aber ich schwieg.
,,Habt ihr euch vertragen?", Julien warf sich so abrupt auf Rezos Stuhl, dass ich erneut zusammenzuckte.
,,Ja", Rezo nickte.
,,Besser ist das", Felix atmete hörbar aus und setzte sich auf seinen Platz. Rewi ließ sich mir gegenüber nieder und warf mir einen kurzen Blick zu, den ich jedoch ignorierte.
,,Siehst schlimm aus", Felix musterte mich.
,,Siehst nicht besser aus", warf ich zurück und lächelte.
,,Ey", lachte Felix. Auch die anderen mussten grinsen.
Woher kam bloß diese Energie? Ich kaute auf dem Schnitzel herum und dachte nach.
Vielleicht tat es irgendwo wirklich gut, dass die Anderen es wussten? Das ich keine Geheimnisse mehr hatte? Aber sofort musste ich mich korrigieren, als ich an die Tabletten dachte. Bis auf dieses eine.
,,Erzählst du uns gleich mal alles?", fragte Julien und biss in sein Brötchen.
,,Wie alles?", fragte ich verwundert.
,,Du hast uns jetzt zwei Sachen verschwiegen", mischte sich Felix ein, ,,Du schuldest uns Erklärungen." Meinte Rezo schon. Ich seufzte. Aber auch, wenn ich dem ganzen am liebsten für immer aus dem Weg gehen wollte, ich war es ihnen am Ende wirklich schuldig. Also nickte ich langsam. Rewi warf mir einen kurzen dankbaren Blick zu und Felix lächelte erfreut.
,,Hab morgen ja Therapie", fiel Rewi in dem Moment ein und er ließ frustriert seinen Kopf auf den Tisch sinken.
,,So schlimm?", lachte Rezo.
,,Ja", brummte Rewi und sah auf, ,,Ich hab doch morgen Charakteranalyse." Er verdrehte die Augen.
,,Charakteranalyse?", ich runzelte die Stirn. Den Begriff hatte ich bisher nicht gehört.
,,Das machen die alle vier Monate mit Rewi", erklärte Felix, ,,Das sind so mehrere Tests wo die schauen was für einen Charakter Rewi hat und wie er sich verändert hat die letzten Monate. Im Grunde wollen die damit herausfinden wie seine Therapie ihn beeinflusst."
,,Klingt uncool", murmelte ich. Wirklich verstehen tat ich es nicht.
,,Ist es auch", stöhnte Rewi, ,,Und dann noch der ewig kalte Weg zu 2. Im Winter ist das echt die Hölle."
,,Hast du dir selbst eingebrockt", Felix klopfte Rewi auf die Schulter.
,,Eher du", brummte Rewi, aber er lächelte.
,,Ach Quatsch", lachte Felix nur.
,,Dafür ist morgen Nachmittag Kunsttherapie", Julien lächelte, ,,Ihr kommt doch alle, oder?"
,,Klar", Rezo nickte, ,,Was machen wir denn dieses mal, weißt du das?"
Julien schüttelte den Kopf:,,Keine Ahnung. Aber bestimmt was cooles."
,,Solange wir nichts mit Scheren machen", Rewi konnte sich sein Grinsen nicht verkneifen. Sofort lachten Julien und Felix los und Rezo musste grinsen.
,,Bestimmt nicht", lachte Julien, ,,Das macht Herr Weschmann erst wieder, wenn du weg bist."
,,Bestimmt", lachte auch Felix.
,,Dann wohl nie mehr", grinste Rewi. Ich musste ebenfalls kurz lachen.
Es tat gut. Fast als würde ich kurz vergessen, was heute alles passiert war. Und dafür war ich den Anderen sehr dankbar. Sie schafften es wirklich mich oft von dem abzulenken, was meinen Kopf nicht losließ.
,,Ich hab übermorgen wieder Therapie", stellte Felix fest, ,,Da ist mir das Kunstangebot allemal lieber."
,,Ich hab auch übermorgen", stimmte ich Felix zu. Lieber machte ich mir noch ein Freundschaftsarmband als sinnlose Gespräche mit Frau Ohle zu führen.
Dabei fiel mein Blick kurz auf mein Handgelenk an dem noch immer das bunte Armband war. Es ließ mich kurz lächeln. Wieso wusste ich selbst nicht. Vielleicht, weil wir alle unseres immernoch trugen? War es wirklich ein Zeichen von Freundschaft?
,,Ich hab übermorgen Familiengespräch", murmelte Rezo zerknirscht.
,,Oh", Felix verzog das Gesicht, ,,Na viel Spaß."
,,Werde ich habe", Rezo nickte grinsend.
,,Wann hast du denn mal wieder Therapie?", fragte Rewi Julien neugierig.
,,Meine Therapeutin hat Urlaub die Woche", Julien lehnte sich grinsend im Stuhl zurück.
,,Ey, wie fies", bescherte sich Felix, ,,Das ist unfair. Wieso hat meiner nicht mal Urlaub?"
,,Der ist bestimmt nur wegen dir hier", lachte Julien.
,,Dann bekommt der eben nie Urlaub", Felix verschränkte die Arme vor der Brust.
,,Ach die haben alle mal Urlaub", mischte sich Rezo ein, ,,Anders können die sich sonst auch gleich einweisen lassen."
Rewi grinste:,,Die sind warscheinlich selbst nur Patienten und wissen es gar nicht."
,,Meine Rede", grinste auch Julien.
,,Frau Ohle bestimmt", ich nickte und grinste ebenfalls. Und wieder war ich ihnen dankbar.
Wie schaffen sie es mich immer wieder zum Lachen zu bringen, wenn ich es nicht will? Wieso schaffen sie, was selbst ich allein nicht schaffe?
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Psychiatrie - Mexify
Fanfiction,,Bevor ich an meinen Gedanken sterbe, beende ich es lieber selbst" Nach einem gescheiterten Suizidversuch wird der 17.jährige Mexify in die Psychiatrie eingewiesen. Man will seine Psyche in den Griff bekommen, aber für Mexify scheint es nur noch ei...