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Ich war bereit zu sterben. Alles in mir war bereit mir die Klinge über die Haut zu ziehen und für immer zu gehen.
Aber genau als ich spürte wie die Klinge die Haut durchschnitt, riss mich ein Klopfen aus meinem Handel und ich verharrte in der Bewegung.
Nein, bitte nicht. Es konnte nicht sein, dass wieder etwas dazwischen kam!
Aber es klopfte erneut, dieses mal energischer und ich biss mir genervt auf die Lippen. Konnte man nicht mal in Ruhe sterben?!
Gerade als ich beschloss es dennoch zu tun, wurde die Tür geöffnet und jemand betrat den Raum. Für einen kurzen Moment herrschte Stille, während ich in meiner Bewegung verharrte.
,,Sag mal spinnst du?!", hörte ich dann jemanden schreien und eine Hand griff nach der Klinge. Aber ich ließ nicht los. Sie war mein einziger Ausweg. Mein einziger Weg aus dieser Hölle.
Dennoch wurde sie mir schließlich mit einem Ruck aus der Hand gerissen und ich starrte in das fassungslose Gesicht von Rezo.
,,Was tust du da, Mexi?", fragte er schrill und sah auf die Klinge in seiner Hand.
,,Sterben", antwortete ich so monoton, als wäre es die normalste Antwort auf der Welt. Mit einer schnellen Bewegung griff ich wieder nach der Klinge und entriss sie Rezo.
,,Mexi!", schrie er und griff energisch nach ihr, sodass ich keine Chance hatte meinen Versuch durchzuführen.
,,Gib schon her", genervt stand ich auf und machte einen Schritt auf Rezo zu, ,,Lass mich verdammt nochmal sterben!"
Aber Rezo wich einen Schritt zurück und schüttelte fassungslos den Kopf. Mein trotziger Blick streifte seine Augen. Verwundert hielt ich inne.
Da war keine Wut mehr, kein Hass, keine Abscheu, keine Kälte. Vielmehr Bestürzung, Fassungslosigkeit, Angst und eine gewisse Wärme.
Rezo griff nach meinem Arm und drehte ihn besorgt.
,,Hast du dir was getan?", fragte er hektisch und sah mir in die Augen. Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Was passierte hier?
Ich verstand die Situation nicht. Statt sterbend gegen das Leben zu kämpfen, stand ich dem Jungen gegenüber, der einer der Gründe für meinen Suzid hätte sein sollen.
Dann, so schnell, dass ich nicht reagieren konnte, machte Rezo einen Schritt auf mich zu und zog mich an sich. Seine Arme schlossen sich behutsam um mich und drückten mich gegen einen warmen Körper.
Und auch wenn ich mich losreißen und ihm die Klinge abnehmen wollte, tat ich es nicht. Ich verstand es einfach nicht. Was tat er hier?
,,Du darfst nicht gehen, Mexi", flüsterte er so besorgt, dass es meinem Herz einen Stich versetzte. Wie gerne ich diesen Worten glauben würde...
,,Wieso nicht?", fragte ich matt, ,,Du hasst mich."
Rezo löste sich von mir und schüttelte den Kopf:,,Ich hasse dich nicht."
,,Ich habe es doch gehört", hielt ich dagegen und lachte auf, ,,Man Rezo, ich hab keinen Bock mehr. Gib mir die Klinge und ich bin in ein paar Minuten weg."
Rezo schüttelte heftig den Kopf und seine Hand schloss sich um die Klinge.
,,Nein, so nicht", betonte er und sah mich fassungslos an.
,,Wieso nicht? Gib mir einen Grund für das alles!", hielt ich dagegen.
,,Ich-", hob Rezo an und schien nach den richtigen Worten zu suchen.
,,Ich will keine Ausreden", hörte ich mich tonlos sagen. Dann sah ich Rezo in die Augen.
Ich will die Wahrheit. Eine Erklärung für die letzten Tage. Eine Entschuldigung für das alles.
Aber Rezo zuckte nur mit den Schultern.
,,Dann habe ich auch keinen Grund weiterzuleben, sorry", sagte ich bestimmt und griff nach Rezos Handgelenk um an die Klinge zu kommen. Aber Rezo ließ nicht los. Langsam stieg Wut in mir hoch.
Ich sollte nicht gehen dürfen, nach allem was ich ihm angetan hatte? Es war mein verdammtes Recht zu gehen!
Die Wut entfaltete eine neue Kraft in mir und irgendwie schaffte ich es seine Hand zu öffnen und griff nach der Klinge. Sofort machte ich zwei Schritte zurück und setzte sie wieder an meinem Handgelenk an.
Und wenn ich vor seinen Augen sterben würde, wenn ich mir beide Pulsadern noch tiefer und weiter aufschneiden müsste, damit es schneller ging. Ich war bereit. Bereit mir den ganzen Körper zu zerschneiden nur um endlich gehen zu können.
,,Mexify, bitte!", die Angst in Rezos Stimme und die Verzweiflung in seinen Augen ließ mich innehalten, ,,Ich verstehe mich doch selber nicht!" Rezo sah so flehend zu mir, dass ich schauderte.
,,Ich weiß nur, dass ich dich nicht verlieren will. Egal ob du dich ritzt oder nicht. Egal ob du redest oder nicht. Hauptsache du bist da. Hauptsache ich kann dein Herz schlagen hören." Seine Stimme zitterte bei seinem letzten Satz.
,,Ich habe falsch reagiert, ich war ein absoluter Hurensohn", seine Stimme war so sehr am zittern, dass ihm jeder Satz schwer fiel, ,,Es hat mich einfach verletzt zu wissen, dass du dir etwas angetan hast ohne mit einem von uns zu reden. Und ich schätze meine Angst um dich ist dann in Distanz umgeschlagen. Ich weiß selbst nicht wieso. Aber es war falsch, es war so verdammt dumm!" Er kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf.
,,Aber wenn du jetzt gehts, dann bin ich schuld und das würde ich mir nie verzeihen", er sah so flehend zu mir, dass ich die Klinge sinken ließ, ,,Ich-" Er brach ab und Tränen sammelten sich in seinen Augen:,,Verdammt Mexi, es tut mir so unendlich Leid!"
Ich starrte nachdenklich auf den blauhaarigen Jungen vor mit. Aus dem selbsbewussten, humorvollen Rezo war ein verzweifelter Junge geworden. Und Schuld war mal wieder ich.
Ich sah auf die Klinge. Wäre es fair jetzt zu gehen? Wäre es fair ihn mit den Gewissen leben zu lassen, dass er einer der Gründe war? Mit dem Wissen, dass ich die Klinge nur durch ihn hatte? Mit dem Wissen, dass ich vor seinen Augen gestorben war? Vielleicht. Ich spürte wie auch mir Tränen in die Augen stiegen.
,,Ich kann nicht mehr, Rezo", flüsterte ich und spürte wie die erste Träne über mein Gesicht lief, ,,Ich weiß nicht, wie ich noch einen weiteren Tag ertragen soll." Meine Sicht verschwamm.
Aber dafür konnte ich spüren, wie sich wieder zwei Arme um mich legten. Und dieses mal zog er mich so dicht an sich, dass ich die Klinge fallen ließ, weil ich meine Arme ebenfalls um ihn schlang.

Psychiatrie - MexifyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt