Irgendwann ging die Sonne auf und vertrieb die Dunkelheit. Zumindest die hinter der Scheibe, gegen die ich meinen Kopf seit Stunden lehnte. Die Dunkelheit in meinem Kopf jedoch vertrieb sie nicht.
Immer wieder waren mir die Augen zugefallen, doch jedes mal war ich wieder hochgeschreckt und hatte mich von den Gedanken an Rezo einholen lassen.
Jedes mal, wenn ich die Augen geschlossen hatte, hatte ich die Bilder gesehen, wie ich verzweifelt an diese verdammte Tür geschlagen und mir die Seele aus dem Leib geschrien hatte. Und wofür das alles? Für nichts!
Immer wieder hatte ich stumm geweint und mich in der sinnlosen Leere verloren, die sein Tod hinterlassen hatte. Denn egal wie sehr ich es auch versucht hatte, positive Gefühle waren nicht zu mir durchgedrungen.
Als hätte die Trauer einen Panzer um mich gebaut, den kein Lächeln je mehr durchdringen konnte.
Ein Klopfen an der Tür ließ mich erstmals wieder den Kopf drehen.
Eine neue Pflegerin öffnete die Zimmertür und trat ein:,,Guten Morgen, Maximilian. Wie war deine erste Nacht?" Sinnlos.
Aber ich schwieg nur. Als würden meine verweinten Augen und mein leerer Blick nicht genug sagen. Die Pflegerin zuckte nur mit den Schultern und musterte kurz das Zimmer.
,,Wir haben heute ein Krisengespräch mit dir geplant. Eine unserer Psychologinnen wird nachher zu dir kommen und einfach ein bisschen mit dir reden", erklärte sie und lächelte wieder. Dieses dumme Lächeln.
,,Du kannst jetzt zum Frühstück gehen", erzählte sie weiter und drehte sich zur Tür, ,,Einfach den Flur rechts runter, die letzte Tür rein." Doch ich schüttelte nur schwach den Kopf. Wozu sollte ich was essen?
,,Maximilian, du musst heute etwas essen", erklärte sie mit festerer Stimme, ,,Aber ich kann natürlich fragen, ob wir dir heute noch das Essen aufs Zimmer bringen können. Es ist ja leider eine spezielle Situation." Sie schenkte mir ein mitleidiges Lächeln.
Wozu lächelte sie? Dachte sie wirklich, dass es auf mich überspringen würde? Oder war sie einfach einer der glücklichen Menschen, denen es wirklich gut ging?
Ich wandte meinen Kopf ab und sah wieder aus dem Fenster. Ihr Lächeln ertrug ich einfach nicht mir. Stattdessen musterte ich die Bäume auf dem Grasstück unter dem Fenster.
Nach einer Weile hörte ich wie die Pflegerin das Zimmer verließ und die Tür langsam ins Schloss fiel. Ich schloss die Augen und atmete tief durch.
Ich verstand die Pfleger hier einfach nicht. Immer dieses dumme Lächeln, irgendwelche Gespräche und sinnlose Aktivitäten. Als würde irgendwas davon irgendwie helfen. Stattdessen starben ihnen die Patienten weg und das einzige was sie taten, war zu sagen, wie Leid es ihnen tat. Das macht Rezo auch nicht wieder lebendig.
Ich musterte den blassblauen Himmel, über den die Wolken jagten. Warum gab man mir nicht einfach eine Klinge und ließ mich Rezo folgen?
Es wäre so viel einfacher und weniger schmerzhaft. Denn egal wie sehr die Schnitte schmerzten und wie hart der Kampf gegen das Leben war, zu leben war immernoch schlimmer.
In dem Moment klopfte es erneut und die Zimmertür öffnete sich wieder. Die Pflegerin von gerade betrat den Raum mit einem Tablett in der Hand, auf dem ein Brötchen mit einer Scheibe Käse, eine Flasche Wasser und einige Tabletten lagen.
,,Dein Frühstück", säuselte sie und stellte es auf meinem Bett ab. Nein, ihre gute Laune gefiel mir wirklich nicht.
Ich streifte das Tablett mit einem achtlosen Blick und sah wieder aus dem Fenster. Sollte es doch da stehen bleiben, ich würde nichts mehr essen.
Die Pflegerin schüttelte nur den Kopf:,,Maximilian, du musst wenigstens eine Kleinigkeit essen, sonst kippst du uns noch um." Und wenn schon, wäre das so schlimm?
,,Außerdem musst du noch deine Medikamente für heute morgen nehmen", fügte sie hinzu. Ich kniff die Augen zusammen. Dann öffnete ich sie wieder, stand auf und ging zum Bett. Für einen Moment glaubte ich, dass meine Welt im schwarz versinken würde, doch ich zwang meine Beine weiterzugehen und ließ mich aufs Bett fallen.
Hektisch griff ich die Tabletten, öffnete die Flasche und schluckte alle herunter. Dann drehte ich den Flaschendeckel zu und schmiss sie mit all meiner Kraft gegen die Wand gegenüber.
Die Pflegerin zuckte zusammen. Ich rutschte an die Wand zurück und lehnte mich dagegen. Dann zog ich die Beine an den Körper und sah zum Fenster.
,,Was sollte das?", fragte die Pflegerin mich. Doch ich schwieg. Ich mache sinnlose Sachen, wie Sie.
Die Pflegerin drehte sich zur Tür und verließ wortlos den Raum. Ich warf einen Blick auf das Tablett, wandte ihn aber sofort wieder ab.
Zum ersten mal seit Tagen hatte ich wirklich keinen Hunger. Mir war eher schlecht und ich wollte mich nicht schon wieder übergeben.
Am liebsten hätte ich die ganze Station zusammengeschrien, einfach nur weil mir egal war, was ich tat. Es war egal ob ich schlief, ob ich trank oder ob ich aß. Es war sogar egal ob ich lebte oder nicht. Ich saß an diesem scheiß Ort fest und der Welt war es egal.
Wieder spürte ich wie mir Tränen in die Augen traten.
Vielleicht war gerade das so wertvoll an Rezo gewesen: Ich hatte ihm wirklich etwas bedeutet.
Ihm war ich nicht egal gewesen. Bei ihm hatte ich Wahrheiten ausgesprochen, die ich selbst nicht gekannt hatte. Wir hatten gelacht, er hatte sich um mich gesorgt und mich vom Leben kosten lassen. Einen süßen Schluck vom Gift, dass seinem Tod gefolgt war. Es durchzog meinen ganzen Körper und lähmte ihn. Danke dafür, Rezo.
Ich legte den Kopf in den Nacken um die Tränen zu verhindern. Doch es brachte nichts. Sie kamen trotzdem und liefen über meine Wangen.
Wieso hast du dich umgebracht?
Wir hätten heute zusammen Sporttherapie gehabt. Wir hätten gelacht und uns über Juliens Fußballtricks lustig gemacht. Wir hätten uns in den Gemeinschaftsraum setzen können, zu Taddl am Pavillion gehen oder mit den Anderen irgendwelche dummen Gespräche führen können.
Ganz egal was, du hättest noch gelebt!
Wir hätten es vielleicht wirklich irgendwie schaffen können... uns irgeneinen Weg geschlagen und ein glückliches Leben leben können.... irgendwann... zumindest vielleicht... Aber du bist gegangen und ich verstehe einfach nicht wieso...
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Psychiatrie - Mexify
Fanfiction,,Bevor ich an meinen Gedanken sterbe, beende ich es lieber selbst" Nach einem gescheiterten Suizidversuch wird der 17.jährige Mexify in die Psychiatrie eingewiesen. Man will seine Psyche in den Griff bekommen, aber für Mexify scheint es nur noch ei...