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Rezo und ich setzten uns auf die Bänke. Momentan war kein anderer hier, man hörte aber mehrere Leute hinter den Fenstern von Station 4 reden.
,,Scheinen Gruppentherapie zu haben", Rezo folgte meinem Blick zu den Fenstern.
,,Gibt es auch eine Station 1?", lenkte ich von den Gesprächen ab. Ich hatte keine Lust darüber nachzudenken was sie redeten oder gar ihnen zuzuhören.
,,Ja, da sind Kinder bis 12 Jahren." Ich erschauderte.
Als Kind war ich immer sehr glücklich und motiviert gewesen. Hatte die Welt entdeckt, Spaß gehabt. Und irgendwann war einfach alles schief gelaufen.
,,Wieso rauchst du eigentlich?", fragte Rezo und drehte sich zu mir.
,,Hab irgendwann mal angefangen. Hilft manchmal", sagte ich leise. Stolz war ich wirklich nicht drauf.
,,Ich finds widerlich", er verzog das Gesicht.
Ich zuckte mit den Schultern. Er hatte schon Recht, der rauchige Geschmack und ausgetrocknete Mund danach waren unangenehm, aber es entspannte auch. Und manchmal brauchte ich das einfach.
,,Bin ich fertig", sagte eine Stimme hinter uns und wir drehten uns um. Julien kam auf uns zu und setzte sich zwischen uns.
,,Therapie?", fragte Rezo und drehte sich im Schneidersitz zu Julien. Dieser nickte und legte den Kopf in den Nacken. Er atmete tief durch und ich wandte den Blick ab.
Julien konnte vermutlich genauso gut wie Rezo verstecken wie es ihm ging.
,,Hilfts wenigstens?", rutschte mir mein Gedanke raus.
Julien schüttelte den Kopf:,,Bisher nicht." Es klang immerhin nicht komplett niedergeschlagen. Vielleicht hatte er wirklich Hoffnung.
Ich schloss die Augen und seufzte leise. Meine Gedanken wanderten einige Wochen zurück.
Es hatte nichts gegeben um weiterzuleben. Ich war morgens aufgestanden, zur Schule gegangen, war nach Hause gekommen, hatte in meinem Zimmer gesessen, hatte ab und zu mal geraucht, hatte mich selbst verletzt, hatte geweint... hatte nachgedacht. Jeden Tag.
Manchmal war ich noch angeschrien worden. Manchmal war ich raus gegangen um einen Sinn im Leben zu finden. Es war erdrückend gewesen so zu leben, unnötig. Ich hatte mich gefangen gefühlt, aber hier zu sein war schlimmer. Hier fühlte ich mich noch sinnloser. 
,,Alles okay?", riss mich Julien aus meinen Gedanken.
,,Klar", ich versuchte ehrlich zu klingen und sah ihm sogar in die Augen. Aber er wusste das ich log.
,,Du kannst mit uns reden", Rezo musterte mich.
Ich nickte nur, kniff die Augen zusammen und versuchte die Gedanken zu verdrängen. Ich wusste, dass sie mich ansahen und sie mir helfen wollten. Aber das konnten sie nicht. Niemand konnte das. Und ich wollte auch nicht das man mir half.
,,Felix kommt warscheinlich morgen zu uns auf die Station", Julien drehte sich zu Rezo, ,,Wollte ich dir noch erzählen."
,,Echt?", Rezo lächelte kurz und zum ersten mal glaubte ich ihm das.
,,Ja. Rewi soll in ein paar Tagen auch kommen, aber sie wollen noch warten bis er etwas stabiler ist", sagte Julien, ,,Felix ist wohl stabil genug."
,,Wundert mich, wo er doch derjenige war, der unbedingt vor den Zug wollte", dachte Rezo laut.
Julien zuckte mit den Schultern:,,Vielleicht hat es Rewi mehr mitgenommen ihn verlieren zu können."
,,Mexi, dann kommt Felix bestimmt die ersten Tage zu dir ins Zimmer", Rezo wandte sich zu mir.
,,Hm", brummte ich weniger begeistert. Eigentlich war ich immerhin damit zufrieden, allein zu sein.
,,Felix ist wirklich sehr nett, du wirst ihn mögen", versuchte Julien mich aufzumuntern.
,,Und Rewi erst, glaub mir so laut wie er ist, weiß man immer wo er ist", grinste Rezo.
,,Wieso?", fragte ich.
,,Rewi hat teilweise ziemliche Wutausbrüche. Aber keine Sorge, die richten sich eigentlich nur gegen die Pfleger", Rezo grinste und Julien musste lachen.
,,Einmal hat er es echt geschafft die Nummer seines Zimmers abzuschlagen", erzählte Rezo, ,,Wir wissen bis heute nicht wie."
,,Klingt super", log ich. Irgendwie wollte ich gerade echt niemanden in meinem Zimmer haben.
,,Ihr werdet euch schon verstehen", beendete Rezo seinen Gedankengang.
Ich atmete tief durch. Super, konnten wir beide im Zimmer liegen und sterben wollen. Was ein gemütliches Zimmer.
,,Gehen wir wieder rein?", fragte Julien und stand auf. Rezo nickte und erhob sich ebenfalls.
,,Nach Ihnen", scherzte Julien und ich stand auf. Dann gingen wir zur Tür.
Am Liebsten wäre ich einfach sitzen geblieben. Auch wenn es nur ein Innenhof war und mich sicher alle möglichen Pfleger durch die Fenster beobachteten, es war nicht so erdrückend wie drinnen.

Wir gingen die Treppe hoch und betraten den Flur zur Station.
,,Ach Maximilian, gut das ich dich antreffe", eine Pflegerin trat zu uns, ,,Ich bin Frau Jaske. Du wurdest noch nicht gewogen und Blut müsste ich dir auch noch abnehmen. Hast du Zeit?" Sie blinzelte mich freundlich an.
Ich nickte einfach. Eine Wahl hatte ich ja im Endeffekt eh nicht.
,,Gut dann folg mir bitte", sie ging den Flur weiter.
Ich sah zu Rezo und Julien.
,,Ist hier die Routine. Und wirklich nicht schlimm", erklärte Julien.
Ich seufzte, dann folgte ich Frau Jaske. Wir gingen durch den Gemeinschaftsraum und sie schloss eine Tür auf. Dahinter waren mehrere Schränke und eine Waage. Auch eine Liege stand an der Wand.
,,Gut, dann zieh dich bitte bis auf die Unterhose einmal aus fürs Wiegen", sie drehte sich zur Liege und notierte sich etwas auf einem Block. Zögernd zog ich mich aus und biss mir dann auf die Lippen.
Ich fühlte mich mehr als unwohl, als sie sich wieder umdrehte und auf die Waage deutete. Schnell stellte ich mich darauf.
51, 6 kg.
Frau Jaske zog eine Augenbraue hoch und notierte sich das Gewicht.
,,Du bist Untergewichtig, Maximilian."
Ich zog mich schnell wieder an und nickte nur. Wunderte mich nicht.
Aber mir war mein Gewicht auch egal. Ich wollte nicht zwingend so wenig wiegen, ich aß einfach nicht viel und es war mir auch egal, wenn ich mal nichts aß.
,,Das werde ich mit deiner Therapeutin bereden", sie deute auf die Liege, ,,Dann leg dich bitte einmal hier hin zur Blutabhnahme." Ich zögerte kurz, dann setzte ich mich darauf.
,,Sicher das du mir hier nicht umkippst?", fragte sie. Ich nickte nur.
Als wenn ich kein Blut sehen kann.
,,Welchen Arm?", sie holte eine Nadel aus einem der Schränke. Ich zuckte nur mit den Schultern. War doch egal.
,,Sie schob meinen linken Ärmel hoch und desinfizierte ihn. Ich sah weg. Die Narben waren mir dennoch ins Auge gestochen.
,,Wie alt sind die Schnitte?", fragte sie und ich spürte einen kurzen Schmerz, als die Nadel unter die Haut ging. Aber ich schwieg.
Zu alt. Leider.

Psychiatrie - MexifyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt