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Ich öffnete die Augen und musterte die weiße Decke über mir. Für einen Moment blinzelte ich, dann setzte ich mich auf und lehnte mich gegen die Wand neben mir.
Ich drückte meine Hand gegen die Schläfe und atmete tief durch. Die Müdigkeit fiel so schnell von mir ab, dass ich das Gefühl hatte nicht einen Moment Schlaf gefunden zu haben.
Fast die ganze Nacht hatte ich mich in meinen Gedanken verloren. Düsteren Gedanken, die mich immer wieder aufsuchten um an meinem Kopf zu nagen, bis sie ihn ganz einnehmen konnte.
Ich biss mir auf die Lippen und schüttelte den Kopf. Keiner dieser Gedanken war neu, aber so häufig wie seit Rezos Tod waren sie nie da gewesen.
Hinter mir öffnete sich meine Zimmertür und ich drehte mich um zu sehen, wer mein Zimmer betrat.
Zu meiner Überraschung schloss Frau Meier die Tür und schenkte mir ein kurzes Lächeln:,,Guten Morgen, Maximilian." Sie stellte ein Tablet auf dem Tisch an der Wand ab und musterte das Zimmer. Ich seufzte.
Ein guter Morgen? Vielleicht für alle Menschen, die keine Familientherapie vor sich hatten.
,,Dein Gespräch beginnt um elf Uhr", erklärte die Psychologin, ,,Ich hole dich hier ab und wir gehen zusammen dorthin, einverstanden?"
Ich nickte stumm und musterte das Tablet auf dem Tisch. Ein Käsebrötchen, eine Flasche Wasser und Tabletten.
Frau Meier bemerkte meinen Blick und nickte zu den Tabletten:,,Deine Medikamente sollst du jetzt nehmen, danach kannst du Essen und-"
Ich stand vom Bett auf und ging wortlos zum Tablet. Ohne zu zögern griff ich die Tabletten, öffnete die Wasserflasche und schluckte sie herunter. Den bitteren Geschmack den sie hinterließen ignorierend ging ich an Frau Meier vorbei zur Tür.
,,Maximilian-", hob sie an, doch ich drehte mich nur um und öffnete meinen Mund.
Sie musterte mich einen Moment, dann seufzte sie:,,Okay, dann bis elf Uhr."
Ich drehte mich um, öffnete die Tür und bog in den Flur ein. Erst dann atmete ich aus und strich mir über meine kurzen Haare.
Ich konnte das nicht mehr. Zu versuchen jeden Morgen aufzustehen ohne einen Gedanken an Rezo zu verlieren. Jeden Morgen zu versuchen den Tag zu überleben.
Ich öffnete die Tür zum Bad und schloss sie hinter mir. Dann lehnte ich mich an die Tür und rutschte an ihr herunter. Fuck.
Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Mein Kopf schmerzte vom Denken und mir war schlecht. Ob von den Gedanken oder Medikamenten konnte ich nicht einmal sagen.
Ich zog die Beine an den Körper und legte meine Arme auf meinen Knien ab. Dabei streifte mein Blick meine Unterarme.
Die tiefe Narbe am linken Arm hob sich noch immer deutlich von den meisten ab. Sie verblasste nicht. Genauso wie die Erinnerungen an Rezos Suizid es nicht tun...
Ich seufzte und sah durch den kleinen Raum. Wie hat es sich angefühlt hier drinnen zu sterben, Rezo? Auch wenn es eine andere Station war, glichen sich die Bäder. Eine Toilette, eine Dusche und ein Waschbecken.
Der Gedanke daran, dass es das letzte war, was Rezo gesehen hatte, tat weh. Kein Fenster, weiße Wände, allein...
Ich biss mir erneut auf die Lippen. Tut mir Leid Rezo, dass es so gekommen ist...
Ich sah auf meine Arme. Da waren sie wieder, die Gedanken, die mich nicht losließen.
Wie sollte ich die Familientherapie schaffen? Wie sollte ich meinen Eltern erklären, dass ich auf der Geschlossenen war, weil sich ein anderer Psycho das Leben genommen hatte? Sie werden es nicht verstehen... Sie hatten ja nicht mal meinen eigenen Versuch verstanden.
Ich zog mich an der Tür hoch und stützte mich dann am Waschbecken ab. Für einen Moment wurde mir schwarz vor Augen, dann wurde meine Sicht wieder klarer und ich schüttelte den Schwindel ab. Vielleicht sollte ich wenigstens einen Bissen von dem Käsebrötchen nehmen.
Ich hob den Kopf und betrachtete mein Spiegelbild. Mein neuer Haarschnitt wirkte noch immer fremd, aber irgendwie rundete er mein kaputtes Gesicht auch ab.
Ich drehte den Wasserhahn auf und sammelte kaltes Wasser in meinen Handflächen. Dann klatschte ich es mir ins Gesicht und ignorierte die Kälte. Immerhin das vertrieb die Gedanken kurz. Dafür stürzte ich zur Toilette und übergab mich.
Mühsam zog ich mich hoch und spülte ab. Dann ging ich wieder zum Waschbecken und wusch mir das Gesicht. Aber die Übelkeit blieb. Reiß dich zusammen, Mexi.
Ich wusste nicht mal wieso ich mich übergeben hatte. Ob der leere Magen, die Medikamente oder meine Psyche. Am Ende war es sowieso egal.
Ich schloss den Wasserhahn und musterte erneut mein Spiegelbild. Tja, hässlich bist du trotzdem noch.
Ich wandte den Blick ab und öffnte die Tür zum Flur. Dann verließ ich das Bad und ging zurück zu meinem Zimmer.
Ohne einen Blick zurück öffnete ich die Zimmertür und betrat den leeren Raum. Immerhin war die Psychologin weg. Im Vorbeigehen griff ich das Käsebrötchen und ließ mich auf der Fensterbank nieder.
Draußen hatten dicke Wolken den Himmel bedeckt und ein leichter Nieselregen eingesetzt. Ich lehnte mich gegen die Wand und sah hinaus auf die verregnete Welt.
Wie lange ich nicht mehr draußen gewesen war... Es musste mindestens einen Monat her sein. Der Monat ohne Rezo.
Ich biss in das Käsebrötchen und verzog das Gesicht. Dennoch kaute ich darauf herum und schluckte den Bissen herunter. Aber die Übelkeit verschwand nicht. Erneut biss ich in das Brötchen und ließ meinen Blick über die Bäume und Häuser schweifen.
Der Anblick wirkte so vertraut, als hätte ich mein ganzes Leben nichts anderes gesehen. Vielleicht ist das so... das man irgendwann denkt, dass es nur noch diesen Ort gibt...
Ich seufzte und wandte den Blick ab. Allerdings war der Anblick des weißen Zimmers nicht besser. Wieder seufzte ich und legte den Kopf in den Nacken.
Dieses Leben war so verdammt sinnlos. Jeder Tag zog sich und nichts änderte sich. Seit Tagen saß ich hier fest und konnte nichts tun als mich an Rezos Tod festzuhalten.
Wieso bist du nur gegangen, Rezo? Wieso sind wir nicht einfach alle auf 3 geblieben...? Denn egal wie schlimm es dort gewesen war, ich hätte mein ganzes Leben dort verbracht, wenn er dafür geblieben wäre.

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