Ich klopfte an die weiße Tür und wartete dann.
,,Herein", hörte ich eine Stimme dahinter und öffnete nach kurzem Zögern die Tür. Frau Ohle saß wie immer hinter ihrem Schreibtisch und tippte gerade etwas in den Computer vor ihr ein.
,,Ah, Maximilian", begrüßte sie mich und machte eine einladende Handbewegung auf den Stuhl vor ihr.
Mexify. Aber ich schwieg, schloss die Tür hinter mir und ließ mich auf dem besagten Stuhl nieder. Sofort fiel mein Blick auf den Teppich. Er war immernoch genauso hässlich wie die letzten male. Braun, farblos, geschmacklos. Wieso fiel mir genau das eigentlich immer wieder auf?
,,Wie geht es dir?", fragte Frau Ohle in dem Moment und sah von ihrem Bildschirm auf.
,,Gut", murmelte ich abwesend und erwiderte ihren Blick kurz. Dann schweifte mein Blick durch den Raum. Alles war wie immer, aber was hatte ich auch erwartet?
,,Wie gehts es dir in dem neuen Zimmer? Kommst du gut mit Yannik und Julien klar?", fragte sie weiter und began wieder etwas auf der Tastatur zu tippen.
,,Ja", ich nickte und versuchte die Erinnerungen an den gestrigen Abend zu verdrängen. Immernoch war ich mir nicht sicher, was ich davon halten sollte. Zum einen glaubte ich Juliens Wahrheit und zum anderen hielt ich mich dennoch an Rezos Lüge fest.
,,Du bist jetzt schon mehrere Wochen bei uns", hob Frau Ohle an und schaltete den Bildschirm aus, um sich jetzt mit ihrer vollen Aufmerksamkeit mir zu widmen, ,,Deswegen würde ich dich gerne in ein zweites Therapieangebot einschreiben." Sie warf mir einen fragenden Blick zu.
Mehrere Wochen? War ich wirklich schon so lange hier? Verging die Zeit so schnell?
,,Okay", murmelte ich etwas verwirrt.
,,Du warst ja bereits bei der Kunsttherapie vor einer Woche", sie öffnete eine rote Mappe, ,,Da habt ihr Armbänder gemacht, richtig?" Ich nickte langsam und mein Blick wanderte zu dem Band, was immernoch um mein Handgelenk geknotet war.
Trotz aller Versuche es zu lösen, war es immernoch da. Und mitlerweile war ich auch ganz froh darüber, da die anderen ihre ebenfalls noch trugen und ich so keine Fragen diesbezüglich beantworten musste.
,,Morgen bieten wir das Programm wieder an. Kann ich dich da wieder eintragen?", fragte sie und griff nach einem Kugelschreiber. Auch wenn es eine Frage war, war ich mir fast sicher, dass ich keine Wahl hatte. Allerdings hatte es beim letzten mal sogar wirklich ein wenig Spaß gemacht, weswegen ich nickte.
,,Sehr schön", Frau Ohle lächelte und notierte sich etwas in der Mappe.
,,Außerdem würde ich heute gerne mit dir über die Fortschritte der letzten Wochen mit dir sprechen", sie blätterte sich durch die Mappe, während ich sie dabei beobachtete. Fortschritte? Welche Fortschritte? Meinen Sie die neuen Narben oder die Suizidgedanken? Aber ich schwieg.
,,Ah da", sie tippte auf eines der Blätter und heftete es aus der Mappe. Dann notierte sie erneut etwas.
,,So, also", sie warf mir ein kurzes Lächeln zu, ,,Seit du hier bist haben die Pfleger und ich mehrfach Beobachtungsbögen über dich geführt. Was uns aufgefallen ist, ist das du dich sehr gut mit Yannik, Julien, Felix und Sebastian verstehst. Mit den ersten beiden bist du ja jetzt auch auf einem Zimmer." Ich nickte nur. Das herauszufinden war nun wirklich nicht schwer.
,,Wir haben erste Diagnosen gestellt und werden in den nächsten Monaten daran arbeiten. Deswegen würde ich gerne auch in der nächsten Sitzung damit beginnen, also in deine richtige Therapie einsteigen. Hast du etwas dagegen?", sie sah fragend zu mir. Therapie. Waren die letzten Sitzungen nicht genug Therapie gewesen? Aber ich nickte nur.
,,Wir haben deine sportlichen Talente notiert", fuhr Frau Ohle ungerührt fort, ,,Außerdem scheinst du dich sehr gut mit allen Patienten zu verstehen. Ich sehe keine Auffälligkeiten oder Rückschritte bisher." Wieder ein kurzer Blick. Aber sie konnte nicht sehen wie ich innerlich lachen wollte.
Sie wissen gar nichts. Sie wissen nichts von dem was in meinem Kopf abgeht. Nichts von den Suizidgedanken. Nichts von der Klingen, den Schnitten, dem Versuch es zu beenden. Von der ganzen scheiße die ich jeden Tag erlebe.
Sie wusste gar nichts.
Dennoch lächelte sie. Lächelte in der stummen Hoffnung, dass ich es auch tat. Und ich tat ihr den Gefallen. Lächelte zurück, auch wenn es nicht echt war. Es war eine Lüge, eine der Lügen von denen ich genug hatte. Jeder Tag war eine Lüge. Aber sie glaubte sie mir, denn sie notierte sich etwas.
Sie war auch nur einer der Menschen, der nicht hinter das Lächeln sehen konnte. Konnte nicht unterscheiden zwischen einer Lüge und der Wahrheit. Aber vielleicht durfte ich sie deswegen nicht verurteilen. Auch wenn ich kein guter Lügner war, war es vermutlich zu schwer mich zu lesen, wenn man nicht fühlen konnte, was ich fühlte. Es war leicht sie anzulügen, schwer Rezo anzulügen. Vermutlich war entscheidend, was man glauben wollte.
,,Ich bin sehr zufrieden damit wie du dich bisher machst bei uns", wieder ein Lächeln, ,,Wir waren uns damals alle etwas unsicher, ob es richtig ist dich aufgrund deines Suizidversuchs bei uns auf Station 3 aufzunehmen, aber ich denke die Entscheidung war richtig. Du hast dich hier wirklich gut eingegliedert und ich denke deine Suizidgedanken haben wir ganz gut im Griff bisher, oder?" Haben wir das?
Aber ich nickte nur und lächelte innerlich traurig. Denn es war genau anders herum. Die Suizidgedanken hatten mich in der Hand.
Egal wie oft ich auch lachte, Spaß hatte und wie oft ich dem Glück auch näher kam, am Ende holten sie mich immer ein. Nach jedem noch so schönen Tag, griffen sie im Schutz der Nacht nach mir und erinnerten mich daran, dass ich ihnen nicht entkommen konnte.
Nicht einmal Rezo konnte sie verdrängen. Er war vielleicht eine Mauer die sie überwinden mussten, doch keine Hürde war unüberwindbar.
Wie Wölfe folgten sie meiner Fährte, während ich wie ein junges Reh vor ihnen durch einen dunklen Wald der Sonne entgegen floh. Einer untergehenden Sonne weit fort am Horizont. Unerreichbar, blasser werdend und für immer verschwindend, während das Rudel mir weiter nachhetzte.
Ohne Pausen...
Ohne ein Entkommen...
DU LIEST GERADE
Psychiatrie - Mexify
Fanfiction,,Bevor ich an meinen Gedanken sterbe, beende ich es lieber selbst" Nach einem gescheiterten Suizidversuch wird der 17.jährige Mexify in die Psychiatrie eingewiesen. Man will seine Psyche in den Griff bekommen, aber für Mexify scheint es nur noch ei...