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Ich öffnete meine Augen und starrte in den Dunkelheit. Hinein in das endlose Schwarz, durchbrochen vom leichten Schein des Mondes, der durch die Vorhänge schien. Irgendwo hörte ich Julien leise Schnarchen und ein gleichmäßiges Atmen von Rezo. Aber ich konnte nicht schlafen.
Dabei war der Tag nichtmal schlecht gewesen. Ich hatte jetzt WhatsApp mit einem Kontakt, wir hatten den Nachmittag über Gott und die Welt geredet, beim Abendessen hatte Rewi den ganzen Raum unterhalten und ich hatte den Rest des Abends Julien dabei zugesehen, wie er an einer Drachenzeichnung gearbeitet hatte. Und irgendwann waren wir schlafen gegangen.
Ein ganz normaler Tag, einer von den guten sogar und dennoch konnte ich nicht schlafen. Immer wieder wanderten meine Gedanken zurück zu meinem Handy. Sie verknüpften sich mit Erinnerungen, die ich nicht denken wollte. Mit Tagen, die ich bereits ausradiert hatte.
Ich setzte mich auf und rückte bis zur Schrankwand zurück. Dann schloss ich die Augen und lehnte den Kopf gegen das Holz hinter mir.
Da war dieser eine Tag gewesen. Ein kühler Herbsttag, nicht anders als der heutige. Es war später Abend gewesen und ich hatte den halben Tag damit verbracht aus dem Fenster zu starren und einen Sinn in meinem Leben zu suchen. Irgendwann hatte ich es vermutlich nicht mehr ausgehalten, mir Zigaretten und Klinge geschnappt und hatte still und heimlich das Haus verlassen.
Wie ein Penner war ich durch die Straßen gegangen und zur Rheinbrücke gelaufen. Ein fast schon alltäglicher Weg. Ein Weg um zu sehen ob ich es nicht doch tun würde. Hatte mich wie so oft an das Geländer gestellt und auf das schwarze Wasser hinuntergeschaut. In der stummen Hoffnung schon genug gebrochen zu sein um einfach zu springen. Doch am Ende hatte ich wie immer nur dagestanden und die nächtliche Stadt gemustert.
Wie ein Idiot hatte ich mich dort niedergelassen, mir eine Zigarette angezündet und mir eine Klinge ausgepackt.
Und wenn kein anderer in Sichtweise gewesen war, hatte ich sie mir über die Haut gezogen. Wie ein Irrer, besessen von dem Gefühl daran kaputt zu gehen.
Besessen von dem Schmerz, der das einzige in meinem Leben war, dass ich fühlen konnte.
Besessen von der Sucht es immer tiefer zu tun.
Besessen davon es beenden zu wollen, um am Ende doch nicht tief genug zu schneiden.
Besessen und doch gefangen im Leben.
Ich hatte nicht aufgehört mir etwas anzutun, hatte versucht irgendwie mehr zu fühlen als den Schmerz. Nur war da nie irgendwas gewesen. Außer einer gnadenlose Taubheit, die irgendwann meinen Arm betäubt hatte.
Ich erinnerte mich an sinnlose Tränen, den verfickten Wunsch zu sterben und es nicht zu schaffen. An den Selbsthass, das Blut, dass auf meine Hose getropft war und den Geschmack von Rauch in meinem Mund. Wie ein Junky hatte ich dagesessen und meine Droge wirken lassen, deren Wirkung schon lange vorbei war.
Die Erinnerung an diesen Tag ließ mich schaudern. Nicht, weil sie wieder da war, sondern weil ich solche Tage vermisste. Tage in denen ich mich einfach selbst hassen konnte, ohne an etwas anderes denken zu müssen.
Keinen Rezo, dem ich etwas schuldig war. Keinen Julien, der sich um mich kümmerte und ich mich nichtmal bedankte. Kein Rewi, der immer versuchte mich aufzumuntern, während ich mich wehrte. Keinen Felix, der froh war mich zu sehen. Ich will niemandem etwas schulden. Ich will einfach wieder fühlen können, was ich will.
Der Gedanke war schmerzhaft. Zum einen genoss ich es zu Lachen, zum anderen war das nicht ich. Egal wie schön der Tag gewesen war, es war nicht die Realität. Die Realität war schmerzhaft.
Sie war nicht so gutmütig wie Julien. Nicht so lustig wie Rewi. Nicht so warm wie Rezos Hoodie, wenn er mich umarmte. Eher so ehrlich wie Felix es manchmal war.
Denn das schätzte ich an dem Jungen: Seine gnadenlose Ehrlichkeit ohne sie sich schön zu reden. Felix war der einzige, der ehrlich aussprach, was ich dachte. Er verschwieg nichts und machte sich die Realität nicht durch Lügen bunt. Statt Blumen schmückte er die Welt mit Klingen nach denen man greifen konnte um sich zu verletzten.
Juliens Welt war bunt, Rewi verdängte das Schwarz und Rezo belog sich so lange, bis die Welt war, wie er sie wollte. Und Felix nimmt sie, wie sie ist.
Ich öffnete meine Augen wieder und sah in Rezos Richtung. Ich beneidete ihn um vieles. Aber nicht darum wie gut er lügen konnte. Vielleicht sahen andere es als Gabe an, doch eigentlich war es ein Fluch. Je länger man sich belügt, desto mehr wird einem bewusst, dass es nicht die Realität ist. Bis sie irgendwann in sich zusammenbrach und einen mitriss.
Nicht das ich Rezo gut genug kannte dafür, aber meine kläglichen Versuche zu lügen hatten genauso geendet. Meine Versuche meine Schnitte zu verbergen hatten mich nur weiter mitgerissen, bis ich fast an den Felsen zerschellt war.
Egal wie sehr Rezo machmal beneidete, lieber wäre ich wie Felix. Könnte sagen, was ich dachte ohne mich dabei schlecht zu fühlen. Sich nicht verstellen zu müssen, musste befreiend sein.
Ich schloss wieder die Augen und sah ins Nichts. Wieso hielten mich meine Gedanken immer wach? Wieso konnte ich nicht einfach schlafen und für einen Moment vergessen, wer und wo ich war? War das so schwer? Oder hatte ich es einfach nicht verdient?
Jetzt bist du schon nicht mehr allein im Zimmer und immernoch so einsam wie davor.
Irgendwo war das traurig. Es bestätigte nur, dass die Einsamkeit ein Gefühl war, dass andere Personen nicht bekämpfen konnten. Das konnte nur ich, aber dazu war ich zu schwach. Lieber setzte ich mich nachts neben sie, lehnte mich an ihre Schulter und versuchte in ihr die Einsamkeit loszuwerden.
Paradox, Mexi.
Aber genauso war es leider. Ich gab mich lieber mit der Einsamkeit ab, als mit anderen Personen. Vielleicht weil ich die Einsamkeit besser kannte, sie eine gute Freundin geworden war. Vielleicht aber auch, weil sie ebenfalls zur Sucht geworden war und ich sie brauchte. Oder aber, weil sie das war, dass dem Tod am nächsten kam.
Hör auf so sinnlos zu denken Mexi. Diese Gedanken interessieren eh niemanden... nichtmal dich selbst.

Psychiatrie - MexifyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt