,,So wird das nichts", lachte Julien und ließ die Lebkuchenwand los, die sofort zur Seite wegfiel.
,,Nein, warte", lachte auch Felix und musste schließlich ebenfalls seine Wand loslassen.
,,Wir brauchen mehr Zuckerguss", Rewi ließ die Spritztüte mit Zuckerguss sinken und musterte sie zerknirscht.
,,Ich hole neuen", grinste ich und ließ mir die fast leere Tüte geben. Dann ging ich mit ihr nach vorne zum Farbeimer. Patrick kam mir gut gelaunt mit einer vollen Spritztüte in der Hand entgegen.
,,Macht Spaß, oder?", fragte er im vorbeigehen. Etwas überrascht drehte ich mich zu ihm und nickte. Aber er war bereits weitergegangen und ich blieb vor den Farbeimer stehen. Eine große Kelle lag darin. Vorsichtig griff ich danach und began den Zuckerguss in die Tüte zu füllen.
Seit einer Stunde schon versuchten wir das Lebkuchenhaus zusammenzusetzen. Doch weiter als das zwei Außenwände standen waren wir noch nicht gekommen.
Am weitesten war tatsächlich Patricks Gruppe. Antonia, der schwarzhaarige Manuel und er hatten ihr Haus fast fertig gebaut. Lediglich eine Dachschräge fehlte.
Ich wandte den Blick von ihrem Lebkuchenhaus ab und sah wieder auf den Zuckerguss. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich ziemlich abgelenkt gewesen sein musste, denn der Zuckerguss tropfte bereits am Rand der Tüte wieder in den Farbeimer zurück.
,,Oh fuck", schnell drehte ich sie zur Seite, woraufhin sie aus meiner Hand in den Farbeimer fiel. Ertappt zuckte ich zusammen.
Hinter mir hörte ich ein leises Lachen und eine Hand griff nach der Zuckertüte, die drohte im Zuckerguss zu verschwinden. Herr Weschmann fischte sie gerade noch rechtzeitig hervor und legte sie auf ein Tuch neben dem Farbeimer. Zerknirscht beobachtete ich ihn dabei. Das war ziemlich dumm gewesen.
,,Das passiert doch mal", Herr Weschmann bemerkte meinen Blick und legte mir eine Hand auf die Schulter, ,,Halb so schlimm." Geschickt füllte er Zuckerguss in eine neue Tüte um und hielt sie mir entgegen. Unsicher sah ich darauf. Es war trotzdem dumm gewesen.
,,Wieso macht ihr euch um die kleinsten Fehler nur so einen Kopf?", Herr Weschmann schüttelte den Kopf und seufzte, ,,Wenn man mit euch Zeit verbringt, denkt man manchmal die ganze Welt würde vor dem Fenster stehen und euch für jeden Fehler den ihr macht auslachen." Genauso fühlt es sich tatsächlich an. Ich griff nach der Zuckertüte.
,,Danke", murmelte ich.
,,Fehler sind dazu da um sie zu machen", Herr Weschmann ließ nicht locker, ,,Unsere Welt ist voller Fehler und das ist auch gut so. In einer perfekten Welt gäbe es keine Vielfalt." Nachdenklich musterte ich ihn. War das so?
Ich drehte mich um und ging zu den Anderen zurück. Dennoch spürte ich, wie sein Blick weiter auf mir ruhte.
,,Endlich, Zuckerguss", freute sich Felix und griff danach. Ich musste lächeln. Auch wenn er am Anfang kein Interesse gezeigt hatte, jetzt schien es ihm fast am meisten Spaß zu machen das Lebkuchenhaus fertig zu stellen.
Ich ließ mich auf meinem Stuhl nieder und griff nach einer der Dachschrägen. Dabei fiel mein Blick wieder auf Herrn Weschmann, der gerade einer anderen Gruppe half, indem er zwei Lebkuchenwände zusammendrückte und dabei erklärte, was er tat, damit sie hielten.
Rezo schien meinen Blick bemerkt zu haben, denn er beugte sich zu mir herüber:,,Er hat seinen Sohn vor fünf Jahren an die Depressionen verloren. Ein einfacher Suizid, ich glaube es waren Tabletten, doch das hat ihn sehr getroffen." Überrascht drehte ich mich zu Rezo.
,,Herr Weschmanns Sohn?", fragte ich nach.
,,Ja", Rezo seufzte, ,,Er war Anfang dreißig, hatte eine Frau, Arbeit, einen Sohn..." Ich spürte wie mir der Gedanke einen Stich versetzte. Einen Sohn.
,,Wie alt?", fragte ich vorsichtig nach.
,,Er war damals zwei, heute ist er sieben", rechnete Rezo nach, ,,Ich glaube er hat immernoch nicht verstanden, wo sein Vater ist."
Vermutlich nicht.
,,Seitdem ist Herr Weschmann in jeder freien Minute bei ihm oder eben hier. Er setzte sich für Jugendliche in Kliniken ein um Schicksale wie dem seines Sohnes zu verhindern. Aber ich glaube dessen Verlust hat er nie verkraftet." Ich musterte Herrn Weschmann, der gerade lachte und etwas zu einem Jungen sagte.
,,Suizid hat immer zwei Seiten", Rezo zwang mich zu einem kurzen Lächeln, auch wenn es nicht glücklich war. Dann drehte er sich wieder zu Felix, Rewi und Julien um, die erstaunlicherweise alle vier Wände zusammengebaut hatten.
,,Mexify, deine Dachschräge ist dran", wies mich Julien in den Moment an und tippte auf eine der Wände.
,,Oh klar", ich drückte die Dachschräge in meiner Hand gegen den Zuckerguss über der Wand.
,,Deine daneben", Felix bdeutete Rezo das selbe auf der anderen Seite zu tun.
,,Aye, aye", rief Rezo und tat dies. Vorsichtig ließ ich meine Dachschränge los. Sie hielt zu meinem Erstaunen.
,,Vorsichtig", wies Rewi Rezo an, als auch dieser seine Hände löste. Hingegen meiner Erwartung, das das ganze Lebkuchenhaus in sich zusammenbrechen würde, stand es auch weiterhin.
,,Wow", bemerkte auch Felix überrascht und rieb sich lachend die Augen, ,,Ihr seht das auch oder?"
,,Klar", lachte Rewi und ließ die Zuckergusstüte sinken, ,,Aber ich bin auch sprachlos."
,,Das sieht doch sehr gut aus, Jungs", lobte Herr Weschmann, der neben Felix trat und stolz das fertige Lebkuchenhaus lobte, ,,Aber ist noch ein bisschen langweilig oder?" Verwirrt musterte ich ihn, doch da zog er auch schon lachend eine Packung Gummibärchen hinter seinem Rücken hervor und legte sie neben unser Haus.
,,Wow, Gummibärchen", Julien griff danach, ,,Die sind für uns?" Hoffnungsvoll sah er zu Herr Weschmann.
Dieser nickte lächelnd:,,Ihr müsst sie nicht alle zum dekorieren verwenden."
,,Danke", auch Felix Augen leuchteten.
,,Aber das muss ja eure Station nicht alles wissen", flüsterte Herr Weschmann beschwörerisch und ging dann grinsend zum nächsten Tisch weiter.
Nachdenklich sah ich ihm nach. Auch wenn er glücklich wirkte, nach Rezos Erzählung musste er ziemlich viel durchgemacht haben. Und so wie er sich gab musste er ebenfalls ein guter Lügner sein. Oder aber das was er hier tat, heilte wirklich einen Teil seiner Vergangenheit, die nichts anderes zu heilen vermochte.
Aber wie auch immer man es sah, in einem Punkt hatte Rezo leider Recht: Suizid hatte immer zwei Seiten. Ob man wollte oder nicht.
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Psychiatrie - Mexify
Fanfiction,,Bevor ich an meinen Gedanken sterbe, beende ich es lieber selbst" Nach einem gescheiterten Suizidversuch wird der 17.jährige Mexify in die Psychiatrie eingewiesen. Man will seine Psyche in den Griff bekommen, aber für Mexify scheint es nur noch ei...