Ich lehnte mich an den Schrank hinter mir und schloss die Augen. Juliens Worte hallten durch meinen Kopf.
Ich denke, ja, das denke ich... Aber in meinem Kopf waren die Worte klarer. Ja, dass denke ich. Denn so war es gemeint gewesen. Es war keine schöne Lüge, die man einem kleinen Kind erzählte.
Es war die bittere Wahrheit nach der Realisation, dass dies die Realität war. Ausgebrochen aus einem scheiß Universum, aufgebaut aus falscher Hoffnung. Die glänzende Seifenblase war geplatzt und ihr Knall hatte es mit sich gerissen. Die Gebäude zu Schutt gemacht, die Landschaft zu einem Sturbach verwandelt und alles in einem riesigen Nichts zurückgelassen.
Seine Worte schmerzten. Das zu leugnen wäre ebenfalls eine Lüge gewesen. Es gab nichts, was das beschönigen konnte.
Ich spürte wie mir ungewollt Tränen in die Augen stiegen und ich sie zusammenkniff.
Wir sind nur Freunde, weil wir müssen. Gewungen vom Leben und mit dem zufrieden zu geben, was es uns übrig lässt. Die letzten Bissen des Glücks, in dem der verdammte Rest der Welt ertrank!
Ich biss mir auf die Lippen, bis es schmerzte. Wir waren nicht mehr als ein Haufen Psychos, deren Gestalten zu schattig für die sonnige Welt waren. War das nicht die Erkenntniss? War es nicht genau das was Julien sagen wollte?
,,Woran denkst du schon wieder?", hörte ich Rezo ruhig fragen und zuckte zusammen. Sofort drehte ich meinem Kopf in Rezos Richtung, dessen Umrisse sich aufrichteten.
,,Ich denke nicht", antwortete ich mit wenig Überzeugung und wischte mir über die Augen, damit die verdammten Tränen nicht kamen.
,,Du bist ein schlechter Lügner, Mexi", Rezo lachte leise und ich biss mir noch stärker auf die Lippen. Das war ich. Ich wollte ihn ignorieren, weiter in meinen Gedanken versinken. Denn erneut bildeten sich Tränen in meinen Augen und ich schüttelte den Kopf, als würde es das verhindern.
Die Traurigkeit kroch wie eine Schlange in mir hoch, schnürrte mir die Luft ab und biss mich so lange, bis ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Ich hörte wie Rezo aufstand und zu mir ging. Aber vor mir verschwamm die dunkle Welt bereits und riss mich hinein in die Dunkelheit. Und anstatt das Rezo mir zusah, sprang er mir nach. Dummer Rezo.
Er ließ sich neben mir nieder und lehnte sich ebenfalls an das Holz. Ich hörte seinen leisen Atem, nahm seine Sillhouette neben mir wahr und spürte seine Wärme.
,,Erklär mir deine Gedanken", seine Stimme klang so ruhig, dass ich seinen interessierten Blick geradezu bildlich vor mir sehen konnte, auch wenn bereits die ersten Tränen über mein Gesicht liefen. Es ist nicht möglich Rezo.
Wie beschrieb man, was den Kopf zerfraß? Wie beschrieb man Leere, Angst und Enttäuschung? Wie beschrieb man das Gefühl der Realisation? Wie beschrieb man irgendwas, dass einen innerlich zerschnitt, wenn man die Narben nicht sehen konnte? Ich wischte mir über die Augen und versuchte irgendwie Worte in all dem Chaos zu finden.
,,Wir sind nur Freunde, weil wir so kaputt sind, nicht wahr?", fragte ich schließlich trotzig und drehte meinen Kopf zu Rezo, ,,Wir sind nur Freunde, weil wir müssen. Es bedeutet nichts, nicht wahr? Es ist wie ein schönes Geschenk, dass man öffnet und einen leeren Karton vorfindet, richtig?"
Die Worte sprudelten plötzlich nur so aus mir heraus, dass ich selbst überrascht war. Dann musterte ich Rezos dunkle Gestalt. Rezo schwieg einen Moment, während weitere Tränen über mein Gesicht liefen. Irgendwie war ich wütend. Wütend auf alles. Auf mich, Julien, die scheiß Welt.
,,Du hast mit Julien geredet, nicht wahr?", fragte Rezo schließlich immernoch so ruhig wie zuvor. Hör auf so scheiße ruhig zu sein! Belüg mich! Sag mir irgendwas damit ich mich besser fühle! Oder stoß mich noch tiefer in die Wahrheit bis ich nicht mehr atmen kann!
,,Was ändert das?", fragte ich gereizt und lachte auf, ,,Es ist eh egal, richtig? Die Freundschaft, die Gespräche, alles, es ist alles eine große Lüge. Mehr nicht. Wir versuchen kaputte Menschen zu heilen, während wir selbst zerbrechen." Ich schüttelte den Kopf. Diese verdammte Erkenntnis. Sie war zu einfach.
Ich griff nach meinen Ärmeln und zog den Stoff den Linken nach oben.
,,Ich mein, was ändert es dann ob ich lebe oder nicht? Ich hätts einfach tun können, richtig? Die scheiß Klinge nehmen, es beenden und aus der Lüge ausbrechen", erneut liefen Tränen über mein Gesicht und ich lächelte traurig, auch wenn er es nicht sehen konnte.
Rezo griff vorsichtig nach meinem Arm und strich über die Pflaster. Verwirrt hielt ich inne und musterte ihn. Wo sind deine scheiß Lügen?! Dann zog ich meinen Arm weg und zog den Ärmel wieder darüber.
,,Wieso sollten wir nur Freunde sein, weil wir hier drinnen sind?", fragte er und ich konnte seinen Blick auf mir spüren. Diesen verdammten ruhigen Blick.
,,Wir haben keine Wahl, wir sind Freunde, weil wir müssen", erklärte ich mir und biss mir auf die Lippen. War das die Antwort? Die Erklärung?
,,Ich weiß wie Julien es sieht, aber du verstehst ihn falsch, Mexi", wieder war seine Stimme sachlich und er rückte ein Stück näher zu mir, ,,Ich für meinen Teil wähle meine Freunde nach ihrem Charakter. Nach dem was mich an ihnen inspiriert, was ich an ihnen schätze und wie ich die Zeit mit ihnen verbringen kann. Und ich kenne viele Menschen, aber kaum jemanden, den ich so gerne einen Freund nennen würde, wie die Leute hier drinnen."
Ich schüttelte den Kopf. Schöne Lügen für einen kaputten Menschen. Wie Pflaster, die tiefe Schnitte heilen sollten. Sie verdeckten nur die Wunden, halfen aber nicht.
,,Du glaubst mir nicht, richtig?", fragte Rezo in die Stille.
,,Nein", ich schüttelte den Kopf, ,,Sorry Rezo, aber du lügst oft." Die Worte kamen ohne darüber anchzudenken und sofort bekam ich ein schlechtes Gewissen. Sie waren etwas zu hart gewählt.
Aber Rezo lächelte nur:,,Da gebe ich dir leider Recht, aber wir wollten uns nicht mehr anlügen, richtig?" Seine Worte hatten einen traurigen Unterton. Fast schon schmerzhaft. Ich belüge dich dennoch. Auch der Gedanke schmerzte. Wieso solltest du es dann nicht auch tun? Aber dennoch hatten seine Worte immerhin einen Kern Wahrheit.
,,Wieso solltest du mit mir befreundet sein wollen?", fragte ich und wischte mir erneut die Tränen aus dem Gesicht, ,,Ich bin scheiße." Hart, aber wahr. An mir gab es nichts, dass mich besonders machte. Keine äußere Schönheit, nichtmal einen tollen Charakter hatte ich. Ich hatte nichts, dass jemand wie Rezo schätzen könnte. Rezo sah super aus, hatte einen tollen Charakter.
,,Ich mag deine Art die Welt zu sehen, die Gespräche mit dir, deinen Humor, den du zu selten zeigst. Ich mag wie du niemanden verurteilst, immer das Beste in den Menschen siehst und dich um deine Freunde kümmern willst, auch wenn es dich selbst kaputt macht", began Rezo aufzuzählen und sah mir dabei die ganze Zeit in die Augen, ,,Ich bin gerne dein Freund. Und das wäre ich draußen genauso wie hier." Ich musterte ihn. Er klang ehrlich, aber dennoch musste er lügen. Niemand mochte mich, nichtmal ich selbst. Auch wenn er es noch so oft wiederholte, Juliens Worte machten mehr Sinn.
,,Ein schönes Geschenk muss nicht gefüllt sein um die Geste wertzuschätzen", griff er meine Worte auf, ,,Julien sieht genauso wie ich, aber er kann es nicht sagen."
Ich biss mir wieder auf die Lippen. Innerlich kämpften Wahrheit und Lüge. Worte und Gedanken.
,,Du musst deinen Wert noch nicht erkennen, Mexify", flüsterte Rezo, ,,Aber ich erkenne ihn und weiß, dass ich dich nicht nur mag, weil ich muss." Wert? Ich bin wertlos Rezo, aber danke für die Lüge. Denn es tat besser der Lüge zu glauben.
Ich seufzte und spürte wie Rezo mich in eine Umarmung zog, die ich nicht verhinderte. Vorsichtig legte ich meinen Kopf auf seine Schulter und versuchte mich auf seine Wärme zu konzentrieren.
,,Denk nicht so schlecht von dir, Mexi", Rezo strich mir durch die Haare, ,,Ich bin froh dich zu haben. Egal wo, ich würde mich überall freuen dich als Freund zu haben." Noch mehr Lügen, die ich glaube, weil sie schöner klingen. Ein neues Universum, erschaffen aus falscher Hoffnung. Aber ich bin dabei, solange Rezo und die anderen ebenfalls dort sind...
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Psychiatrie - Mexify
Fanfiction,,Bevor ich an meinen Gedanken sterbe, beende ich es lieber selbst" Nach einem gescheiterten Suizidversuch wird der 17.jährige Mexify in die Psychiatrie eingewiesen. Man will seine Psyche in den Griff bekommen, aber für Mexify scheint es nur noch ei...