,,Die Frage ist schwer zu beantworten", hob Rewi nach einigem Zögern an. Man merkte ihm an, dass er intensiv nachdachte und sich schwer tat die richtigen Worte zu finden.
,,Ich denke-", er zögerte erneut und fuhr etwas selbstsicherer fort, ,,-nein, ich weiß, dass ich gerne mal nach Amerika möchte. New York oder so, irgendwas, wo ganz viele Menschen sind und ich keine Bedeutung habe. Und denke New York hat auch einige tolle Orte zu bieten."
,,New York", Felix schüttelte den Kopf, ,,Stell dich doch gleich in eine Konzertmenge."
Rewi zuckte mit den Schultern und ignorierte Felix Kommentar:,,Die meisten Fotos von New York sind einfach mega."
,,Das sind auch alles Influencer, die haben das Gold", lachte Felix, ,,Musst auch YouTuber oder sowas werden."
,,Vielleicht mache ich das", schloss sich Rewi mit einem leichten Lachen an, ,,Wer weiß, was in einem Jahr ist. Das Talent hätte ich. In einigen Computerspielen bin ich auch nicht so schlecht. Und Reden kann ich auch."
,,Oh ja, die ganze Nacht", bestätigte Felix.
,,Erzähl erstmal von deinem Ziel", Rewi verschränkte die Arme vor der Brust und sah zu ihm, ,,Dann kannst du über meins lästern."
Felix setzte sich aufrecht hin und wirkte mit einem mal genauso unsicher wie Rewi zuvor.
,,Das ist eine dumme Frage. Wie in ner Therapiesitzung", antwortete er ausweichend, ,,Ich mein, wir sind alles Psychos. Die Hälfte von uns hat mindestens einen Suizidversuch hinter sich. Wozu sollten wir uns Ziele setzten?" Die Ernsthaftigkeit in seiner Stimme und der plötzliche Umschwung seiner Stimmung ließ mich frösteln. Ich hatte das Thema nicht in diese Richtung lenken gewollt.
,,Wieso nicht?", konternte Rezo zu meiner Verwunderung nach einer kurzen Stille, ,,Ich mein, wieso sollen wir nichts haben, worauf wir hinarbeiten wollen?"
Er winkelte die Beine an und stützte seine Arme darauf. Dann sah er fragend zu Felix. Dieser seufzte und schüttelte den Kopf, bevor er fortfuhr:,,Willst du mir wirklich sagen, dass du ein Ziel im Leben hast?"
,,Ja", antwortete Rezo sofort und nickte.
,,Erzähl", man hörte Felix Grinsen heraus. Rezo schwieg einen Moment und schien nachzudenken.
,,Ich habe zwei Ziele. Die habe ich damals auf der Geschlossenen erarbeitet, weil ich halt irgendwas brauchte um einen Sinn zu finden, auf Station 3 zu kommen", man merkte auch ihm an, dass es ihm schwer fiel darüber zu reden. Besonders weil es um seinen Aufenthalt auf der Geschlossenen ging.
Was ist dort alles passiert? Die Frage lag mir auf der Zunge, aber ich schluckte sie herunter. Jetzt war nicht der Zeitpunkt dafür.
,,Ich möchte irgendwann mal in einer dieser Sternschnuppennächte irgendwo auf einer Wiese liegen und einfach nur ohne Gedanken Sternschnuppen beobachten. Ohne in einer Klinik zu sein. Ohne negative Gedanken. Ohne das Gefühl zu haben, dass es nicht gut läuft. Einfach daliegen und nur die Sternschnuppen sehen, nicht die Dunkelheit. Versteht man das?"
Ja. Rezos Worte lösten irgendwas in mir aus. Eine Art Verlangen. Ein Drang.
Genau das will ich auch. Genau das, was er gesagt hatte. Nicht mehr und nicht weniger.
,,Das klingt schön", hörte ich mich leise sagen und zuckte zusammen. Wieso sprach ich aus, was ich dachte?
Aber zu meiner Verwunderung lächelte Rezo:,,Mit dir würde ich da sogar liegen. Mit euch allen. Aber sonst keinem." Seine Worte versetzten mir einen kurzen Stich. Mit mir. Mit den Anderen. Es klang irgendwie friedlich.
,,Machen wir", Julien neben mir nickte, ,,Es kann unser Gruppenziel werden, oder?"
,,Natürlich", Rezo nickte, ,,Wenn ihr das wollt."
,,Bin dabei", Rewi nickte benfalls und auch Felix schloss sich erstaunlicherweise mit einem leisen "Okay" an.
,,Und dein zweites Ziel?", fragte Rewi.
,,Ich möchte anderen Menschen mit psychischen Problemen helfen. Ich hab keine Ahnung wie, aber wenn es mir mal besser geht, möchte ich das machen", fuhr er fort und sah in die Runde.
Ein interessantes Ziel. Aber wie half man jemandem, wie uns?
,,Du hilfst uns doch jetzt auch schon", Felix stubste Rezo neben ihm an.
Dieser stieß ihn zurück:,,Natürlich." Er lachte. Aber wir anderen schwiegen. Tut er. Und das wissen wir alle. Wollte er es nicht einsehen? Oder wusste er es wirklich nicht? Aber erneut verschluckte ich meine Fragen. Nicht jetzt.
,,Dein Ziel, Ju?", gab Rezo das Wort an diesen weiter.
Julien neben mir fuhr sich durch die Haare:,,Ich will Musik machen. Ein paar Songs schreiben, aufnehmen und Musikvideos oder so machen."
,,Bitte verschohne uns", lachte Rewi und lockerte die Stimmung damit wieder.
,,Musst es ja nicht hören, Spasti", entgegnete Julien lachend. Ich ertappte mich bei einem kurzen Grinsen. Julien und singen? Ich hatte ihn zwar noch nie singen gehört, aber irgendwie passte es zu ihm. Wie das zeichnen.
Zu Julien schien generell alles zu passen, was er tat. Die zerzausten schwarzen Haare, seine auffälligen bunten Hoodies und seine Art mit anderen zu reden. Wenn man ihn so sah, glaubte man ihm von uns fünfen wohl am wenigsten, dass er psychische Probleme hatte.
Er hatte mit Rewi die wenigsten Narben, zeigte wie Rezo selten, wie es ihm ging und war wie Felix immer für einen dummen Spruch zu haben.
,,Hast du ein Ziel?", fragte er mich in dem Moment und ich spürte wie alle mich ansahen.
Ich schüttelte den Kopf:,,Noch nicht." Ich seufzte. War irgendwie traurig. Aber vielleicht fand ich ja noch eines.
,,Findest bestimmt eins", griff Felix meinen Gedanken auf, ,,Und wenn nicht, gesell dich zu mir. Ich hab auch keins."
Ich lächelte kurz:,,Mach ich." Aber irgendwie war es nicht wirklich ernst gemeint.
,,Fest steht, dass wir alle noch einen weiten Weg vor uns haben", gähnte Rewi und stand von seinem Stuhl auf, ,,Seid mir nicht böse, aber ich bin müde."
,,Schließ ich mich an", Julien rutschte zur Bettkante und stand ebenfalls auf, ,,Morgen ist Sporttherapie. Da müssen wir fit sein."
Sporttherapie. Scheiße. Hatte ich komplett vergessen. Sofort erinnerte mich ein stechendes Gefühl am Arm an meine Taten der letzten Abende.
Ich rückte ebenfalls zur Bettkante und stand auf. Mit einem mulmigen Gefühl folgte ich Julien zur Tür.
,,Was machen wir denn, gibts mal nen Thema?", fragte Felix hinter mir.
,,Glaube nicht, wie immer", lachte Rezo vor mir. Ich sollte mir echt was überlegen, ehe das Thema morgen "Mexify ritzt sich in der Klinik" lautet.
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Psychiatrie - Mexify
Fanfiction,,Bevor ich an meinen Gedanken sterbe, beende ich es lieber selbst" Nach einem gescheiterten Suizidversuch wird der 17.jährige Mexify in die Psychiatrie eingewiesen. Man will seine Psyche in den Griff bekommen, aber für Mexify scheint es nur noch ei...